Die Freude ist riesengross. Der Applaus tosend, als Keir Starmer in den frühen Morgenstunden des 5. Juli in London vor die Labour-Anhängerschaft tritt. Der frisch gewählte Labour-Premierminister tritt strahlend ans Rednerpult und bekräftigt sein Wahlversprechen: «Der Wandel beginnt jetzt!» Die Konservativen seien an den wirtschaftlichen Turbulenzen nach Brexit, an ihrem sprunghaften Regierungsstil und den vielen Skandalgeschichten gescheitert.
«Wir werden es besser machen», verspricht Keir Starmer. «Politik muss wieder im Dienst der Leute stehen.»
Keir Starmers Umfragewerte sind im freien Fall
Erst 100 Tage im Amt, macht sich Enttäuschung breit. In der jüngsten YouGov-Umfrage sagen nur gerade 12 Prozent der Befragten, ihre Hoffnungen in die Labour-Regierung hätten sich erfüllt. 30 Prozent sagen, sie seien enttäuscht. Was Starmer Sorgen machen muss, sind die vielen ernüchterten Labour-Wählerinnen und -Wähler: 47 Prozent von ihnen sagen, sie hätten erwartet, Labour werde es gut machen – und seien enttäuscht worden.
Noch düsterer sind Starmers Beliebtheitswerte: Nur noch gerade 27 Prozent der Befragten haben ein positives Bild von ihm; 63 Prozent ein negatives Bild, so viele wie nie zuvor.
Wie ist das möglich? Kurz gesagt: Dem neuen Regierungschef und seinem Team sind folgenschwere Patzer unterlaufen.
Modische Röcke, Anzüge und eine VIP-Loge
Der erste passiert Starmer kurz nach Amtsantritt: Er verpasst es, die modischen Röcke und das perfekte Make-up, welche seine Frau kurz vor, während und nach dem Labour-Wahlsieg trägt, ordnungsgemäss als Geschenke zu deklarieren. Starmers Parteigenosse, Lord Waheed Alli, hat die First-Lady ausstaffiert, im Gesamtwert von Tausenden von britischen Pfund.
Auch der Labour-Chef selbst lässt sich vom Medienunternehmer neue Anzüge, Brillen, Krawatten und Gratis-Übernachtungen in einem Luxus-Appartement in der Londoner Innenstadt schenken. Allein im laufenden Jahr akzeptiert Starmer von Lord Alli Geschenke im Wert von 39'000 Pfund, wie «Sky» zusammengerechnet hat. In den letzten fünf Jahren hat Starmer über 100'000 Pfund an Sachspenden entgegengenommen. Solche Geschenke sind legal. Und sie wurden von Starmer korrekt deklariert.
Doch der Imageschaden ist angerichtet: Die konservativen Medien, allen voran «The Telegraph» oder «The Mail», bringen über Wochen fast täglich neue Details ans Licht. Weitere Labour-Regierungsmitglieder haben sich beschenken lassen. In den Köpfen vieler Britinnen und Briten setzt sich der Gedanke fest: «Labour ist nicht besser als die Konservativen und ihre Skandalgeschichten.»
Die Enttäuschung wird verstärkt durch einen kommunikativen Patzer: Die Labour-Regierung verkündet Anfang August, die Heizkosten der Pensionierten nicht länger zu subventionieren. Aus Spargründen. Künftig sollen nur noch bedürftige Pensionierte einen Heizzuschuss bekommen.
Ökonomisch und sozialpolitisch ist das vertretbar. Doch politisch ist es heikel. Es weckt Neid, der vom konservativen Lager im Sommerloch geschickt bewirtschaftet wird: «Labour-Leute lassen sich teuer beschenken und sind hartherzig mit alten Menschen», lautet der Tenor.
Starmers Keep-calm-Strategie
Was macht Starmer mit der Kritik? Er gibt sich betont gelassen – und sagt, er sei nicht in die Politik gegangen, um beliebt zu sein, sondern um etwas zu bewegen. Er hofft wohl, dass sich sein Beliebtheitsproblem von selbst lösen wird, wenn sich die Lebensumstände der Britinnen und Briten zu verbessern beginnen. Noch ist es nicht so weit.