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Frachtgiganten (3/3): Die dunkle Seite der Fracht
Aus News Plus Hintergründe vom 21.02.2024. Bild: Keystone
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Seefahrtsnation Schweiz Knallhart, riskant, durchgetaktet: die Arbeit auf hoher See

Abenteuerliche Entdeckungsreisen und Hafenromantik? Von wegen. Seefahrerinnen und Seefahrer verrichten ihren Job oft unter schwierigen Bedingungen. Was müsste sich ändern, um die Situation derer zu verbessern, die unsere Waren von A nach B bringen?

Etwa 1.9 Millionen Seeleute halten den globalen Handel am Laufen, der grösstenteils über die Meere abgewickelt wird. Von der Schweiz aus wird laut der Branchenvereinigung Suissenégoce fast ein Viertel aller Schiffe auf den Ozeanen gesteuert. Ein Binnenland ist also Knotenpunkt für die Seefahrt.

Kaum Schweizer Seeleute

Holger Schatz ist Nationalsekretär von Nautilus International Schweiz. Die Gewerkschaft vertritt die Interessen von Seeleuten aus Grossbritannien, den Niederlanden und der Schweiz.

SRF-Podcastserie: «Frachtgiganten»

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Legende: SRF

Die SRF-Serie gewährt einen Blick hinter die Kulissen des Welthandels und der knallharten Logistikbranche dahinter, die nur so viel wie nötig über sich preisgibt. Zu finden auf srf.ch/audio.

Obwohl von der Schweiz aus so viele Frachtschiffe gelenkt werden und die weltgrösste Containerreederei MSC in Genf ihren Hauptsitz haben, gebe es kaum noch hiesige Seeleute, sagt Schatz: «In der Regel stammen sie aus dem asiatischen Raum, von den Philippinen, aus Indonesien oder China. Es gibt aber auch viele aus der Ukraine oder Russland.» Das seien traditionelle Seefahrtnationen mit entsprechendem Arbeitskräftepotenzial.

Schaut man sich die Arbeitsbedingungen der Seeleute an, verwundert es nicht, dass kaum Schweizerinnen und Schweizer anheuern: 24-Stunden-Schichtbetrieb, monatelange Abwesenheiten von zu Hause und enge Platzverhältnisse dominieren den Alltag.

Durchgetaktet und riskant

Um die Hafengebühren zu senken, liegen zwischen dem An- und Ablegen eines Frachters heute nur noch wenige Stunden. Für Sightseeing oder ein entspanntes Bier bleibt keine Zeit.

Hinzu kommt, dass der Job Risiken birgt: Piraterie auf hoher See zum Beispiel. Krankheiten, die sich auf dem Schiff ausbreiten können. Aber auch die Unfallgefahr an Bord ist nicht zu unterschätzen, ebenso wie Lärmbelastung, Schlafmangel und chemische Dämpfe.

Depressionen unter Seeleuten weit verbreitet

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Seeleute erkranken häufiger an einer Depression als Menschen in anderen Berufen. Gemäss der «Seafarer Mental Health Study» zeigte jede vierte befragte Person entsprechende Symptome. 13 Prozent der befragten Seeleute wiesen zusätzlich Merkmale einer Angststörung auf. Für die Studie der renommierten amerikanischen Universität Yale wurden 2019 über 1500 Seeleute umfassend zu ihrer mentalen Gesundheit befragt.

Das alles zu einem Gehalt, das weit weg ist vom Schweizer Mindestlohn.

Im Schnitt verdienen Seeleute um 1500 Dollar (1300 Schweizer Franken) monatlich, Kapitäne und Kapitäninnen 6000 bis 8000 Dollar. Letztere tragen sehr viel Verantwortung für das Schiff, die Ladung und die Menschen auf hoher See.

Wenn es vor Ort keine Akteure gibt, die ein Interesse daran haben, den Menschen zu helfen, dann kümmert sich halt niemand.
Autor: Holger Schatz Generalsekretär Nautilus International

Schweizer Arbeitsrecht lässt sich nur auf Schiffen durchsetzen, die unter Schweizer Flagge fahren, erklärt der Nautilus-Gewerkschafter. Dies sind heute aber gerade mal noch 14 Frachtschiffe von zwei Reedereien – und keines davon ist MSC.

Zahlreiche Handelsschiffe weltweit fahren unter sogenannten Offshoreflaggen. Länder, die kaum Bezug zur Schifffahrt hätten, erläutert Schatz: «Wenn es vor Ort keine Akteure gibt, die ein Interesse daran haben, den Menschen zu helfen, sondern vor allem dafür angestellt sind, um Gebühren einzutreiben, dann kümmert sich niemand.»

Schweizer Flagge als Vorzeigebeispiel

Auf Schiffen unter Schweizer Flagge würden die Grundrechte eingehalten. Ein Weg, um die Arbeitsbedingungen der Seeleute zu verbessern, wäre laut Schatz, mehr Frachter unter Schweizer Flagge zu bringen. Eine Vorlage, die im Schweizer Parlament hängig ist, könnte hier andocken: Mit der Idee, dass Reedereien von Steuererleichterungen profitieren, sofern sie sich an soziale und ökologische Auflagen halten.

Welthandel fährt unter Billigflagge

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Über den meisten Handelsschiffen weht eine fremde Flagge. Sie fahren unter sogenannten Offshore- oder Billigflaggenstaaten wie Liberia, Panama oder den Marshallinseln. «Da gibt es keine Gewerkschaften, keine Zivilgesellschaft oder Medien, die Missstände anprangern», kritisiert Holger Schatz. Es gebe zwar eine Charta der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, welche die Grundrechte der Seefahrenden sichern sollte und von vielen Flaggenstaaten und Reedereien unterzeichnet wurde. «In der Umsetzung hapert es aber», so Schatz. Eine weitere Schwierigkeit sind die oft unklaren Besitzverhältnisse bei Schiffen. Nicht immer ist nachvollziehbar, wer bei Havarien oder anderen Problemen haftet.

Nautilus und der Schweizer Seereedereiverband würden die sogenannte Tonnagesteuer unterstützen, wenn sie an Auflagen gebunden wird. Ob sie wirklich etwas bewirken würde, oder ob in erster Linie Reedereien und Konzerne mit Schiffsflotten weniger Steuern bezahlen müssten, ist umstritten.

SRF 4 News, 21.2.2024, 03:30 Uhr;kesm

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