Bis zu 40 Millionen Container sind gerade irgendwo auf der Welt unterwegs. Fun Fact: Würde man sie aneinanderhängen, hätte man die halbe Strecke zum Mond. Wie kaum ein anderes Ding steht der Container für Wachstum und Kapital. Er hat den Welthandel revolutioniert.
Ein simples Stahlgehäuse ist verantwortlich für den Luxus, den wir uns heute kaufen können.
Jürg Bandle arbeitete sein Leben lang in der Logistikbranche und hat die sogenannte «Containerrevolution» miterlebt. In den 1960er-Jahren koordinierte er in Japan für seine damalige Arbeitgeberin Danzas Containertransporte. Die Wirtschaft wuchs rasant, Japan setzte da erst seit Kurzem auf Container, um Waren in die ganze Welt zu verschiffen. «Ohne Container, keine Globalisierung», so der 73-Jährige. «Ein simples Stahlgehäuse ist verantwortlich für den Luxus, den wir uns heute kaufen können.»
Von der Zigarettenschachtel zum Container
6.06 Meter lang, 2.44 Meter breit und 2.59 Meter hoch – so lautet die Weltformel der Globalisierung. Es sind die Masse der klassischen 20-Fuss-Container, die tagein tagaus unterwegs sind. Als Erfinder gilt der US-amerikanische Trucker Malcolm McLean. Er störte sich an den langen Wartezeiten beim Entladen der Lastwagen.
Beim Anblick einer Zigarettenschachtel soll McLean in den 1930er-Jahren auf die zündende Idee gekommen sein: Warum nicht den ganzen Lkw-Auflieger auf das Schiff laden, statt mühsam einzelne Kisten und Säcke vom Lastwagen auf das Schiff zu packen? Vor der Containerrevolution mussten Waren einzeln umgeladen werden. Aus heutiger Sicht war das ein logistischer Albtraum: Ineffizient, zeit- und kostenintensiv. Oft wurde etwas beschädigt oder ging verloren.
Die Idee von McLean brauchte ihre Zeit, bis sie in der Masse ankam und finanziert werden konnte. Doch dann entpuppte sie sich als kleines Weltwirtschaftswunder. Heute finden mehr als 90 Prozent der globalen Handelstransporte via Containerschiff statt.
1956 verliess das erste Containerschiff McLeans, ein umgebautes Militärschiff, den Hafen von New Jersey nach Houston in Texas. Plötzlich dauerte das Umschlagen der Fracht nur noch drei statt zehn Tage.
Der Siegeszug des Containerprinzips
Mit der Festlegung der Standardmasse des TEU – dem Twenty Foot Equivalent Unit – Mitte der 1960er-Jahre, setzte sich der Container endgültig durch. Die neue Masseinheit im Containerverkehr, eine weltweit einheitliche Packungsgrösse, umfasste den See-, Strassen- und den Eisenbahnverkehr. Insbesondere im Vietnamkrieg behauptete sich das Containerprinzip: Um seine Truppen schnell zu versorgen, baute das US-Militär in Vietnam den ersten Containerhafen.
Die Container eröffneten neue Möglichkeiten. Alles ging einfacher, sicherer, schneller – und günstiger. Die sinkenden Transportkosten machten den Welthandel auch für kleinere Unternehmen zugänglich.
Die Normierung und Standardisierung sind Treiber der Massenkonsumgesellschaft.
Die Containerisierung des Welthandels sorgte dafür, dass sich die sogenannte Just-in-Time Philosophie verbreitete. So lassen sich nun beispielsweise Autoherstellerfirmen Rohmaterial, einzelne Fahrzeugteile und Schrauben aus verschiedenen Teilen der Welt zeitgenau liefern. Lange Vorlaufzeiten und grosse Lagerbestände wurden für viele Unternehmen überflüssig.
Der Containermarkt wächst um ein Vielfaches schneller als die Weltwirtschaft. «Die Normierung und Standardisierung sind Treiber der Massenfabrikation, der Massenkonsumgesellschaft», hält Historikerin Monika Dommann fest. Sie arbeitet an der Universität Zürich und hat ein Buch über die Entwicklung der modernen Logistik veröffentlicht.
Das Ende der alten Hafenwelt
Laut Dommann wurden mit dem Container auch alte Kartelle im Transportwesen und Gewerkschaften gebrochen. Die Blechbox veränderte die Hafenarbeit von Grund auf.
Die Häfen waren bis dahin fest in den Händen von Gewerkschaften gewesen, welche die unzähligen Arbeiter koordinierten. Nicht selten spielte auch das organisierte Verbrechen eine Rolle und steuerte, wer, was, wann und wo entladen durfte – und wer Geld dafür kassierte. Durch die Container entfiel Arbeit. Menschen, die in den Häfen arbeiteten, verloren teilweise ihre Jobs. Das wiederum bedeutete weniger Macht für die Gewerkschaften.
Durch die Containerstandards ist klar geregelt, wie das Auf- und Abladen abläuft und wie lange dies dauert. Dommann fasst zusammen: «Die Menschen mussten Teil dieser Kette werden, sich anpassen. Sie können nun leichter kontrolliert und beaufsichtigt werden.»
Containerschifffahrt: Knallhartes Milliardengeschäft
Die Containerrevolution hat ein Milliardengeschäft hervorgebracht: Die Containerschifffahrt. Reedereien kämpfen um den Transport der meisten Container. Und ausgerechnet die grösste Playerin hat ihren Sitz in einem Land ohne direkten Seezugang: in der Schweiz.
Von Genf aus lenkt die MSC-Reederei 795 Containerschiffe (Stand Dezember 2023). So viele besitzt sonst keine Reederei. Interessant zu wissen: Laut Suissenégoce, dem Verband der Transport- und Rohstoffhandelsunternehmen, wird fast ein Viertel aller Schiffe auf den Weltmeeren von der Schweiz aus gesteuert.
Die Containerschifffahrt ist für 3 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich – so viel, wie ganz Deutschland jährlich ausstösst. Dabei gibt es modernere Schiffe, die weniger der Umwelt schaden als etwa solche mit Schweröl im Tank. Aus verschiedenen Gründen gehen auch immer wieder Container über Bord – wie viele tausend pro Jahr es sind, ist unklar.
Container als Spiegel der Weltpolitik
Der Transport von Containern entwickelt sich immer weiter, oft im Takt der Weltpolitik. Derzeit greifen Huthi-Rebellen im Roten Meer Frachtschiffe an, um Handelsströme zu unterbrechen. Das US-Militär bombardiert Stellungen der Huthi im Jemen. Sicherheit ist ein grosses Thema, wenn es um Container geht.
So wurden beispielsweise nach den Terroranschlägen in New York im September 2001 die Sicherheitsvorkehrungen im globalen Handel enorm verschärft. Mehr Papierkram und Koordinationsaufwand sowie höhere Sicherheitskosten waren die Folgen für jene, die Containertransporte organisieren und ausführen.
Der langjährige Spediteur Jürg Bandle, der 2001 in New York für den Logistikriesen Kühne & Nagel tätig war, erinnert sich: «Wir mussten Lösungen finden, damit der weltweite Handel weiterläuft.» Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei die Furcht vor Nuklearwaffen allgegenwärtig gewesen: «Wir hatten Angst, dass eine sogenannte Dirty Bomb in einem Container versteckt ist und im Hafen von New York explodiert.»
Allen Massnahmen zum Trotz: Bis heute sind Container nicht frei von illegalen und kriminellen Praktiken.
Menschen in Containern
Historikerin Dommann nennt als Beispiel den Menschenhandel: «Container werden sogar von Schleppern benutzt, um Migrantinnen und Migranten zu transportieren.» Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Doch erst vor wenigen Wochen wurden in Irland 14 Personen in einem Schiffscontainer gefunden. Die irische Polizei hat eine Untersuchung wegen Menschenhandels eingeleitet.
Es ist einfacher für einen Turnschuh, über das Mittelmeer zu kommen, als für einen Menschen
Nicht nur Waren werden also verschifft, sondern auch Menschen. «Es gibt den zynischen Spruch, dass es einfacher sei für einen Turnschuh, über das Mittelmeer zu kommen, als für einen Menschen», so Dommann. Für den Transport des Turnschuhs seien klare Rahmenbedingungen geschaffen worden. Das gelte so aber nicht für den Menschen.
Der Container lässt sich aus dem weltweiten Handel nicht mehr wegdenken. Er ist das Rückgrat aller Logistik, die scheinbar nur eine Tendenz kennt: Wachstum. Und obwohl die Containerisierung des Handels auch ihre Schattenseiten hat, ist kein Ende des Wachstums in Sicht. Immer grössere Schiffe, immer mehr Schiffe transportieren immer noch mehr Container.