Normalerweise müssen Staats- und Regierungschefs im grossen Saal der UNO-Generalversammlung präsent sein, wenn sie in der Generaldebatte reden wollen. Gegen den Widerstand der Russen und weniger enger Getreuer gab es nun aber für den ukrainischen Präsidenten eine Ausnahme.
Wolodimir Selenski durfte per Videoschaltung reden und tat das nicht in Anzug und Krawatte, sondern in seinem feldgrünen T-Shirt. Er sprach, was er selten tut, Englisch und stellte der versammelten Weltöffentlichkeit gleich zu Beginn eine Formel für den Frieden vor.
Formel für Frieden
Fünf Punkte enthält sie: Die Wiederherstellung der territorialen Integrität seines Landes, den Schutz der Zivilbevölkerung, die Bestrafung der Angreifer, Sicherheitsgarantien, aber nicht zwingend einen Nato-Beitritt. Und schliesslich eine Weltgemeinschaft, die sich verpflichtet, solchen Überfällen – gegen wen auch immer sie sich richten – entschieden entgegenzutreten.
Das klingt nach einem umfassenden Programm, doch mit viel weniger kann sich Kiew schwerlich zufriedengeben. Zumal alle Punkte auch den Bestimmungen und Idealen der UNO-Charta entsprechen oder sich zumindest dort anlehnen. Einen ähnlich überzeugenden alternativen Friedensplan hat Moskau bislang nicht vorgelegt.
Die Ukraine wolle Frieden, unterstrich Selenski mit Nachdruck. Es gebe – wie die jüngsten Ankündigungen von Diktator Wladimir Putin zeigten – nur einen einzigen Staat, der keinen Frieden wolle. Putin sei anscheinend zufrieden mit diesem Krieg, mit seinem Krieg, spitzte es der ukrainische Präsident zu. Doch Russland werde es nicht gelingen, den Lauf der Geschichte aufzuhalten.
Standing Ovation für Selenski
Selenski gab sich zuversichtlich, trotz des zusätzlichen Drucks, den der Kreml am Mittwochmorgen mit seinen Beschlüssen und Drohungen aufsetzte. Er wirkte entschlossen, sprach eindringlich und überzeugend. Ist sonst in der UNO höflicher Pflichtapplaus üblich, erntete er eine minutenlange stehende Ovation. Allerdings, auch das fiel auf: Einzelne Delegationen blieben demonstrativ sitzen, nicht nur die russische und dessen klassische Vasallen.
Alle konnte der ukrainische Staatschef offenkundig nicht auf seine Seite ziehen. Die wichtigen G-7-Staaten aber sehr wohl. Nach seiner Rede versammelten sich deren Aussenminister und versprachen, die Unterstützung der Ukraine nicht nur fortzusetzen, sondern sogar auszuweiten. Was das konkret bedeutet, angesichts der neuen Lage, die die russische Führung geschaffen hat, scheint indes noch nicht spruchreif.