Das oberste Gericht Schwedens hat erstmals ein Urteil auf Grundlage des sogenannten Einwilligungsgesetzes gefällt. Es verurteilte einen 27-jährigen Mann unter anderem wegen sogenannter «unachtsamer Vergewaltigung» zu 27 Monaten Gefängnis. SRF- Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann weiss, was das Urteil für Schweden bedeutet.
SRF News: Was muss man sich unter «unachtsamer Vergewaltigung» vorstellen?
Bruno Kaufmann: Nach schwedischem Gesetz handelt es sich dabei um einen sexuellen Kontakt, bei dem der eine Partner nicht ausdrücklich mitmachen möchte. Dies ist eine Ergänzung zum traditionellen Begriff der Vergewaltigung, der Gewaltanwendung, die Schutzlosigkeit des Opfers oder die Absicht des Täters voraussetzt. Eine «unachtsame Vergewaltigung» ist deshalb eine Art grobfahrlässige Vergewaltigung.
Welche Bedeutung hat dieses erste letztinstanzliche Urteil seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes vor einem Jahr für die schwedische Gesellschaft?
Das Urteil bestätigt die Veränderung der Haltung in der schwedischen Gesellschaft in den letzten Jahren. Die Toleranzschwelle für sexuelle Übergriffe wurde herabgesetzt. Dazu hat sicher auch die Me-Too-Bewegung einiges beigetragen. Und jetzt hat das oberste Gericht Schwedens mit dem Präzedenzurteil dieser Entwicklung Rechnung getragen.
Der aktivere Teilnehmer muss sich der Zustimmung des Partners oder der Partnerin versichern, bevor es zum Sex kommt.
Schweden hat als eines der ersten Länder Freier bestraft, um die Prostitution einzudämmen. Versucht das Land jetzt mit dem neuen Gesetz, potenzielle Opfer zu schützen – also quasi die Schwächeren?
Ja, das ist die eine Absicht. Das Einwilligungsgesetz ist aber auch ein nachdrücklich ausgedrückter Wunsch des gegenseitigen Respekts im sexuellen Umgang. Insbesondere wird der aktivere Teilnehmer dabei in die Pflicht genommen, sich der Zustimmung des Partners oder der Partnerin zu versichern, bevor es zum Sex kommt.
Vor allem ältere Schweden zeigen sich gegenüber dem Sex-Gesetz skeptisch.
Wie kommt das Urteil bei Politik und Bevölkerung an?
Sehr gut. Das Präzedenzurteil wurde durchwegs begrüsst. Es verstärkt den Trend der beschriebenen gesellschaftlichen Entwicklung. Sieben von acht Parteien unterstützten das Gesetz bei der Abstimmung im Parlament vor einem Jahr und laut Umfragen stehen 70 bis 80 Prozent der Schwedinnen und Schweden dahinter. Dabei zeigen sich die älteren Schweden eher skeptisch, während die jüngeren dem Gesetz grösstenteils positiv gegenüberstehen.
Wie muss sich der schwedische Mann in Zukunft verhalten, damit er nicht am Morgen danach vor Gericht gezerrt wird?
In den allermeisten Fällen muss er sich nicht anders verhalten als bisher. Nur sehr wenige Fälle landen vor Gericht – so betrifft nur einer von zehn angezeigten Vergewaltigungsfällen den neuen Gesetzesartikel und den Straftatbestand der «unachtsamen Vergewaltigung». Als Botschaft an die Schweden kann aus den bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz vielleicht festgehalten werden: Vor dem Kopulieren sollte man mehr kommunizieren.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.