Als die EU und Grossbritannien den Brexit verhandelten, ging es zu einem wesentlichen Teil um Nordirland. Die einzige Land-Grenze zwischen der EU und Grossbritannien verläuft zu Nordirland – und diese sollte auf keinen Fall zur harten EU-Aussengrenze werden. Zu nah sei der Nordirlandkonflikt, zu fragil der Frieden zwischen irischen Nationalisten und britisch-freundlichen Unionisten.
Doch nun nehmen die Spannungen in Nordirland offenbar trotzdem zu. Zumindest derart, dass die EU Angst um ihr dortiges Personal hat: Die EU-Kommission hat ihre Kontrolleure aus den nordirischen Häfen in Belfast und Larne abgezogen.
Spannungen mit Ankündigung
Die nordirische Gebietsverwaltung sprach am Montagabend von einer «Zunahme unheimlichen und bedrohlichen Verhaltens in den vergangenen Wochen.» Zuletzt waren nach Angaben von Polizei und Verwaltung rund um die beiden Häfen Drohungen an Mauern geschmiert worden.
Für Patrik Wülser, SRF-Korrespondent in Grossbritannien, sind die Vorgänge zwar keine eigentliche Eskalation. «Sie zeigen aber, wie sensibel die Befindlichkeit in Nordirland ist, wo vor gut 20 Jahren noch ein Bürgerkrieg herrschte.» Dass der Brexit – und insbesondere das komplizierte Grenzregime – zu Problemen führen werde, sei jedoch immer klar gewesen.
Nun verläuft also eine Grenze durch die irische See. «Insbesondere Unionisten wollten kein geteiltes Grossbritannien», erklärt Wülser. Sie wehrten sich dagegen, dass Güter, die aus England, Wales oder Schottland über die irische See nach Nordirland kommen, kontrolliert werden. Vergebens.
Zur Stunde sind die Grenzkontrollposten in den nordirischen Häfen geschlossen. Die Warenimporte von der britischen Insel nach Nordirland sind behindert. Wülser glaubt aber nicht, dass dies von Dauer sein wird. «Die regulatorische Grenze in der irischen See wird nicht einfach auf ‹kaltem Weg› durch den Abzug von Beamten aufgehoben werden können.»
Vier Jahre hat man gewissermassen um Haus, Hund und Sorgerecht gestritten. Die Wunden sind immer noch frisch, und es kommt immer wieder zu Nadelstichen.
Die EU-Kommission verurteilte die Gewaltandrohungen gegen die Brexit-Kontrolleure scharf. Laut einem Sprecher wurde für Mittwoch eine Videokonferenz mit britischen Vertretern angesetzt.
Das Scheidungsdrama zwischen Brüssel und London klingt also nicht friedlich aus. Erst gerade stritten Grossbritannien und die EU um Astra-Zeneca-Impfungen, nun geraten die Brexit-Kontrolleure in Nordirland zwischen die Fronten.
Die Nerven liegen blank
Für den Korrespondenten kommt das nicht überraschend. «Vier Jahre hat man gewissermassen um Haus, Hund und Sorgerecht gestritten. Die Wunden sind immer noch frisch, und es kommt immer wieder zu Nadelstichen.»
Eine weitere Episode: London verweigerte eben erst dem EU-Botschafter in Grossbritannien den diplomatischen Status und bezeichnete ihn als gewöhnlichen Vertreter einer internationalen Organisation. Umgekehrt drohte die EU am Samstag im Impfstreit, die irische Grenze zu schliessen.
Für Wülser zeigen die Beispiele, dass die Nerven auf beiden Seiten blank liegen. «Es braucht weitere Mediation. Ich bin aber überzeugt, dass man mit der Zeit zu einem einvernehmlichen und praktikablen Alltag finden wird.»