Noch mehr als zuvor herrscht in Hongkong ein Klima der Angst. Seit dem 1. Juli ist das neue nationale Sicherheitsgesetz in Kraft. Und dieses werde man rigoros umsetzen, betonte Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam. Inzwischen sind weitere Einzelheiten zum Gesetz bekannt geworden. International hagelte es Kritik. US-Aussenminister Mike Pompeo spricht von Verhältnissen wie in einem Überwachungsstaat.
SRF News: Übertreibt US-Aussenminister Pompeo mit seiner Kritik?
Felix Lee: Nein, im Gegenteil. Die schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Im Mai hat die kommunistische Führung in Peking überhaupt erst angekündigt, dass es für Hongkong ein solches Gesetz geben soll. Seit dem 1. Juli ist es in Kraft, bis zum Schluss waren die Inhalte unklar. Gestern hat nun die Hongkonger Regierungschefin Details bekannt gegeben. Und man kann es nicht anders sagen: Sie hebeln Hongkongs bisheriges Rechtsstaatssystem und die Meinungsfreiheit quasi aus.
Was ist den Behörden mit dem Gesetz neu erlaubt?
Konkret braucht die Polizei für Hausdurchsuchungen künftig keinen Durchsuchungsbefehl eines unabhängigen Richters mehr. Die Kontrolle polizeilicher Überwachungsmassnahmen durch Gerichte ist damit weitgehend abgeschafft. Auch hat die Polizei nun die Vollmacht, Informationen aus dem Internet entfernen zu lassen, wenn sie darin eine Gefährdung der nationalen Sicherheit sieht. Weigern sich Internetfirmen, drohen auch ihnen Geldstrafen und unter Umständen sogar Haft. Damit ist die Meinungsfreiheit in den sozialen Medien quasi ausgehebelt.
Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch die Unabhängigkeit der Justiz sind direkt angegriffen.
Facebook, Google und Twitter haben bereits angekündigt, Anfragen der Hongkonger Behörden über Nutzer nicht mehr nachzukommen. Das würde dann aber als Konsequenz heissen, dass sie so blockiert werden, wie das in der Volksrepublik bereits der Fall ist. Buchläden wurden bereits angewiesen, Bücher von Pro-Demokratie-Aktivisten zu untersuchen, ob sie gegen das neue Gesetz verstossen. Auch das ist eine Form von Zensur, die es in Hongkong so noch nie gegeben hat. Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch die Unabhängigkeit der Justiz, wie es sie bisher in Hongkong gegeben hat, sind damit direkt angegriffen.
Bereits in der ersten Woche mit dem neuen Gesetz hat es Festnahmen gegeben. Was droht den Festgenommenen?
Ihnen drohen mit dem neuen Gesetz harte Haftstrafen bis hin zu einer Ausweisung auf das chinesische Festland. Das wäre wirklich schlimm: Denn dort werden Kritiker schon jetzt abgeholt und verschwinden einfach. Viele von ihnen sind in Haft gestorben oder erst Jahre später als gebrochene Menschen wieder aufgetaucht. Wenn das auch auf die Hongkonger Kritiker zutrifft, wäre das wirklich hochdramatisch.
Das heisst, viele dürften sich nun gar nicht mehr trauen, auf die Strasse zu gehen und für die Unabhängigkeit Hongkongs einzustehen?
Ja, das ist richtig. Einige Aktivisten sind bereits ausgereist, andere haben ihren Rückzug angekündigt oder bemühen sich um die Ausreise. Hongkongs Demokratie ist damit de facto am Ende. Und der Westen hat dabei tatenlos zugesehen.
Das Gespräch führte Dominik Rolli.