Die Hisbollah-Miliz, gegen die sich die aktuellen israelischen Angriffe richten, ist vor allem im Süden Libanons verwurzelt. Viele Menschen dort flüchteten deshalb in den Norden Libanons, ebenso auch viele Einwohner aus der Hauptstadt Beirut.
Bisher war es im Norden relativ ruhig, doch nun hat die israelische Armee auch hier Ziele angegriffen – konkret das Flüchtlingslager Bedawi, rund fünf Kilometer nördlich der Hafenstadt Tripoli. Die deutsche Autorin und Forscherin Nathalie Rosa Bucher, die seit 12 Jahren in Beirut lebt, ist sei vergangener Woche in Tripoli. Sie berichtet, wie sich die Menschen gegenseitig helfen müssen.
SRF: Frau Bucher, was hat Sie dazu bewogen, Beirut zu verlassen?
Nathalie Rosa Bucher: Seit einigen Wochen fliegen täglich Drohnen über Beirut und auch über das Gebäude, in dem ich lebe. Und dann fing es an mit diesen tieffliegenden Jets und deren Überschallknall. Das gibt einem ein sehr mulmiges Gefühl. Und es ist ganz klar, dass das so auch gewollt war und dass wahrscheinlich mehr daraus werden würde. Das hat mich dann bewogen, in den Norden zu ziehen.
Die Menschen sind zum Teil wirklich nur mit Kind und Kegel geflüchtet.
Viele weitere Menschen sind vor der Gewalt in Richtung Norden geflohen. Wie werden die Geflüchteten dort aufgenommen?
Bisher werden teilweise Leute, die sich das leisten können, in leerstehenden Wohnungen untergebracht. Auch ein Hotel hat 1100 Geflüchtete untergebracht. Schulen haben ebenfalls geöffnet. Ich kann auch aus meiner persönlichen Erfahrung erzählen. Ich helfe in einer Freiwilligenküche, wo wir Mahlzeiten vorbereiten. Andere Leute besorgen Matratzen und alles, was die Leute brauchen. Denn die Menschen sind zum Teil wirklich nur mit Kind und Kegel geflüchtet.
Man hilft sich also jetzt einfach gegenseitig?
Ja. Es hängt in Libanon immer an der Zivilbevölkerung. Der Staat ist eigentlich nicht präsent.
Angesichts des jüngsten israelischen Angriffs haben die Menschen offenbar Angst, dass sich der Konflikt auf den Norden Libanons ausbreiten könnte?
Was ich bisher mitbekommen habe und was auch meine persönliche Einstellung ist: Es wird eventuell zu weiteren gezielten Attacken kommen - aber nichts, was vergleichbar ist mit dem, was in Beirut geschieht. Denn die Strukturen sind hier im Norden ganz anders. Das heisst, hier gibt es keine Hisbollah-Tunnel oder Hisbollah-Mitglieder. Im Norden macht man sich vor allem wegen des bevorstehenden Winters Sorgen und wie man das schaffen wird. Die Frage ist, wie man den geschätzt 300'000 Geflüchteten, die jetzt nicht nur in Tripoli, sondern auch weiter nördlich leben, täglich zu essen geben kann und medizinische Versorgung oder Unterkünfte sicherstellt.
Das Gespräch führten Annalisa Achtermann und Christine Scheidegger.