In den USA wird heute ein neuer Präsident gewählt. Damit geht ein monatelanger Wahlkampf zu Ende, der die Gräben in der amerikanischen Politik verdeutlicht hat. Immerhin – es gebe Hoffnung für die Debattenkultur in den USA, sagt Amerika-Spezialistin Claudia Brühwiler.
SRF News: Die USA scheinen mehr gespalten zu sein denn je – würden Sie dem zustimmen?
Claudia Brühwiler: Allerdings. Laut Umfragen sagen über 70 Prozent der Amerikaner, dass sich Republikaner und Demokraten nicht einmal auf die einfachsten Fakten verständigen können. Und 60 Prozent denken sogar, dass die jeweils andere Partei eine Bedrohung für die USA ist.
Und diese Gegensätze wurden im Wahlkampf zusätzlich befeuert?
Ja, leider. Während der Demokrat Joe Biden stets beteuerte, eine Kampagne für alle Amerikaner zu führen und die Bevölkerung wieder näher zusammenbringen zu wollen, goss Präsident Donald Trump an vielen Stellen zusätzliches Öl ins Feuer.
Trump goss an vielen Stellen Öl ins Feuer.
So spielte der Präsident etwa auf Rassengegensätze: Trump wandte sich an die Vorstadtwähler und rühmte sich, dafür verantwortlich zu sein, dass die Vorstädte immer noch so schön seien – damit insinuierte er, dass er die schwarze Bevölkerung aus den Vorstädten ferngehalten habe.
Auch Biden griff Trump persönlich an. Sind für die Polarisierung im Wahlkampf nicht beide Kandidaten verantwortlich?
Man muss unterscheiden, ob man den Gegner hart angeht, oder dessen Unterstützer. Biden griff Trump persönlich hart an – das ist normal, denn schliesslich ist dieser Bidens Gegner im Wahlkampf. Doch dabei begab sich Biden nie unter die Gürtellinie. Demgegenüber schoss Trump nicht nur auf die linke Wählerschaft Bidens, er suggerierte immer wieder, Biden sei nicht mehr im Besitz seiner geistigen Kräfte.
Eine verstärkte gesellschaftliche Polarisierung ist auch in anderen Ländern zu beobachten – ist sie nicht vor allem ein Phänomen unserer Zeit?
Ein Stück weit schon. Die Frage ist allerdings, wie die politische Führung damit umgeht. Normalerweise versucht sie, diese Gegensätze zu überbrücken. So hatte Trumps Vorgänger Barack Obama stets versucht, sich als Präsident aller Amerikaner zu positionieren. Jetzt aber haben wir die unbequeme Situation, dass der US-Präsident die Unterschiede betont, verstärkt und sogar rote Linien überschreitet, indem er sich etwa bei rechten Milizen anbiedert.
Hat Trump damit mit seiner Vorbildfunktion als US-Präsident gebrochen?
Er hat sie schlicht nicht wahrgenommen – wie er das während seiner ganzen Amtszeit kaum getan hat. Trump hat zwar politisch einige seiner Wahlversprechen eingehalten, doch sein Stil entspricht in keiner Weise dem eines US-Präsidenten. Er hat auch nie versucht, ein Präsident für alle Amerikaner zu sein.
Hat dieser Präsidentschaftswahlkampf die Debattenkultur in den USA nachhaltig verändert?
Wie nachhaltig die Veränderung ist, wird sich zeigen. Viele Amerikaner sind müde geworden, sie haben schlicht genug von der ständigen Streiterei. Exemplarisch zeigt dies der Wahlkampf der beiden Kandidaten um das Gouverneursamt in Utah.
Das darf einen einigermassen hoffnungsvoll stimmen.
Der demokratische und der republikanische Kandidat – Chris Peterson und Spencer Cox – traten dort in einem gemeinsamen Wahlkampfspot auf und sagten, sie hätten politisch zwar unterschiedliche Ansichten, könnten aber trotzdem ganz zivilisiert miteinander umgehen. Der Spot ging viral und erntete wahre Begeisterungsstürme. Das darf einen doch einigermassen hoffnungsvoll stimmen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.