Auf halber Strecke zwischen Bahnhof und Stadtzentrum von Calais parkt Nathan seinen kleinen Lastwagen. Seit einer Woche kreist der junge lokale Kampagnenleiter von Stadt zu Stadt im Norden von Frankreich. Er macht Werbung für seinen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon. Nathan rechnet mit einem schwierigen Tag: «Calais ist eine Hochburg der Rechten. Die Stadtbehörden haben uns absichtlich einen schlechten Platz zugewiesen. Das gehört halt zum Spiel.»
Viele Sozialisten schämen sich für ihre Partei.
Abou und seine fünf Helferinnen und Helfer lassen sich nicht entmutigen. Sie bauen eine kleine Bühne auf. T-Shirts liegen bereit, zudem ein grosser Stapel Broschüren. Hinter ihnen läuft in einer Endlos-Schlaufe ein Werbevideo für das wichtigste Wahlversprechen des Sozialisten Hamon: Das bedingungslose Grundeinkommen. 750 Euro soll jeder Bürger erhalten.
Kaum jemand bleibt stehen
Die erste Passantin, die nach einer halben Stunde stehen bleibt, ist eine alte Bekannte. Claudine hat schon immer links gewählt. Bei ihr ist keine Überzeugungsarbeit nötig. Sie ärgert sich aber über all die Parteikader, die in den letzten Wochen Hamon den Rücken gekehrt haben; «lamentabel» sei das. Claudine will Hamon wählen, damit sich die Sozialisten in der französischen Politik endlich wieder links einreihen. «Benoît Hamon bringt die Sozialisten wieder auf Kurs», zeigt sie sich überzeugt.
Sogar meine Familie sagt, die Sozialistische Partei sei tot.
Claudine bleibt die Ausnahme. Niemand sonst bleibt stehen, niemand zeigt sich interessiert. Die meisten Passanten wechseln rechtzeitig auf die andere Strassenseite. Dort sitzt Didier in der Sonne vor einer Tasse Kaffee und liest die Lokalzeitung. Kandidat Hamon fällt in Umfragen unter 10 Prozent Zustimmung, ist da zu lesen. «Immerhin versuchen sie noch, die Menschen auf der Strasse zu überzeugen», sagt er. Auch glaube der Kandidat der Sozialisten immerhin noch an das, was er sage, formuliert der Rentner diplomatisch.
Die Wahl irgendwie überstehen
Ihm gegenüber dreht der Werbefilm der Hamon-Tour immer noch im Leeren. Niemand hält an, den Helfer Michael überzeugen könnte. Der Gymnasiallehrer hat einen Tag seiner Ferien geopfert, um Kampagne für seine Partei zu machen. Schwierig sei das, anerkennt er. «Sogar meine Familie sagt mir, die Sozialistische Partei sei tot. Mein Ziel ist nun, Schlimmeres zu verhindern und an die Zeit nach den Wahlen zu denken.»
Die Niederlage vorzubereiten scheint jetzt, am Ende der Kampagne, tatsächlich die neue Losung der alten Regierungspartei zu sein. Nathan dreht sich eine Zigarette und denkt laut an das, was nach der Wahl kommt: An das grosse Reinemachen bei den Sozialisten. Die alte Garde der Sozialisten müsse abdanken. «Viele Sozialisten schämen sich für ihre Partei. Die Zeit ist gekommen, dass der rechte Parteiflügel aus der Partei austritt, damit wir neu starten können. Das wäre das Beste», sagt er.
Die Lage scheint so aussichtslos, dass Nathan entscheidet, die Übung in Calais vorzeitig abzubrechen. Er weiss nicht, wie es weiter gehen soll: «Ich glaube, wir fahren zurück nach Boulogne sur Mer oder Dunkuerqe – und später an den Strand. Vielleicht treffen wir dort ein paar Touristen.»
Die Mobilisierungs-Tour für den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Hamon fährt weiter ziellos im Kreis.