«Dieses Land ist meine Lebensader, sonst habe ich nichts.» Besim Mustafic lässt seinen Blick über sein Feld gleiten. Hier in Rasevo, einem kleinen Dorf mit knapp 500 Einwohnern, ist Mustafic geboren und aufgewachsen. Und hier in diesem kleinen Dorf pflanzt der Bauer Früchte und Gemüse an und züchtet einige Rinder.
Die Ruhe fernab der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, sie täuscht. Rasevo liegt in der Republika Srpska, einer der zwei Entitäten von Bosnien und Herzegowina. Hier fordert der mächtigste serbischstämmige Politiker, Milorad Dodik, die Unabhängigkeit der Republika Srpska.
Um seine Ziele zu erreichen, schürt der Serbenführer Angst und Hass zwischen den drei Ethnien: den Serben, den Kroaten und den Bosniaken.
Der neue alte Konflikt
Die Behörden der Republika Srpska haben von Besim Mustafic rund eineinhalb Hektaren Land, also etwa ein Fussballfeld, konfisziert. Die Begründung: Das Grundstück, das seit 120 Jahren im Besitz der Familie Mustafic ist, sei illegal erworben worden. Mustafic widerspricht, er habe Dokumente, die beweisen sollen, dass ihm das Land rechtmässig gehört.
Es ist nicht das erste Mal, dass muslimische Bosniaken in der mehrheitlich von christlich-orthodoxen Serben kontrollierten Entität diskriminiert und vertrieben werden.
Im März 1993, während des Bosnien-Kriegs, wurde das Dorf Rasevo komplett zerstört. Die Streitkräfte des damals noch existierenden Jugoslawiens legten es mit ihren Bomben in Schutt und Asche. Und als dann auch noch bosnische Serben das Dorf umzingelten, flüchtete Besim Mustafic mit seiner Familie. Ihr Ziel: Srebrenica.
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Bild 1 von 3. Nach einem Referendum im März 1992 erklärte Bosnien und Herzegowina die Unabhängigkeit von Jugoslawien. Bildquelle: Keystone / EPA / Mike Persson.
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Bild 2 von 3. Die Mehrheit der bosnischen Serbinnen und Serben haben die Abstimmung boykottiert. Sie wollten weiterhin zu Jugoslawien gehören. Bildquelle: Keystone / AP / Darko Bandic.
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Bild 3 von 3. Anfang April 1992 umzingelten die bosnischen Serben Sarajevo. Die Belagerung dauerte fast vier Jahre. Bildquelle: Keystone / AP / Michael Stravato.
Srebrenica war der Wendepunkt des Bosnienkriegs. Srebrenica war aber auch eines der dunkelsten Kapitel in der neueren Geschichte Europas. Vom 11. bis 19. Juli 1995 wurden 8000 Jungen und Männer ermordet. Es war der erste Genozid, auf Deutsch Völkermord, in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die mehrheitlich muslimischen Bosniaken waren alle unbewaffnet und befanden sich in einer von den Vereinten Nationen eingerichteten Schutzzone.
Auch Besim Mustafic befand sich damals in Srebrenica. Beim Fall der Stadt floh er. Rund 15'000 Männer befanden sich zu Fuss auf dem Weg nach Tuzla. Es folgte der sogenannte Todesmarsch. Tausende wurden auf dem Fussmarsch nach Tuzla erschossen. Drei seiner Brüder kamen ums Leben.
Bosniaken sind nicht willkommen
Vier Jahre nach Kriegsende, 1999, kehrte Besim Mustafic in sein altes Dorf, nach Rasevo zurück. Fünf Jahre lang lebte er in einer Ruine. Viel von seinem früheren Zuhause ist nicht mehr übrig. Nach und nach baute er sein Haus wieder auf, kaufte sich mit Hilfe einer italienischen Organisation ein paar Schafe und begann ein neues Leben. Heute leben neun Familienmitglieder unter diesem Dach.
Ich ernähre mit diesem Land meine Kinder und finanzierte ihnen die Ausbildung Das Land gehört mir, meinen Neffen und Nichten.
Es ist die einzige Einnahmequelle, die die Familie hat. Und nun versuchten ihm die Behörden immer mehr Land wegzunehmen, so Besim Mustafic. Allein ist er dabei nicht. «209 Parzellen sind in Rasevo beschlagnahmt worden, das sind zwischen 100 und 140 Hektaren.» Die Besitzer seien alle Bosniaken.
Gerichtlich wollen die enteigneten Landbesitzer gegen das Urteil vorgehen. Falls es in Bosnien und Herzegowina zu keiner Einigung kommen soll, seien sie auch bereit, bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Strassburg zu ziehen. «Wir gehen bis zum bitteren Ende, bis wir endlich Gerechtigkeit erfahren.»
Droht ein neuer Krieg?
Bosnien und Herzegowina ist auch fast 30 Jahre nach dem Krieg noch immer tief gespalten. Die Wunden von damals wollen nicht wirklich verheilen. Und gerade die politische Elite nutzt das gerne aus.
«Der Staat ist dysfunktional und bedient nur noch die Interessen einer kleinen Elite. Und diese politische Klasse ist nicht bereit, zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu schliessen», sagt die Historikerin Marie-Janine Calic.
Ein Krieg stehe Bosnien und Herzegowina derzeit aber nicht unmittelbar bevor, meint Calic: «In Bosnien-Herzegowina herrscht eine extrem angespannte Situation. Ein grosser Krieg ist dennoch nicht wahrscheinlich. Vor allem deshalb, weil die Konfliktparteien gar nicht über die militärischen Mittel verfügen. Zudem befindet sich eine internationale Schutztruppe in Bosnien, die Eufor Althea, die wird einen solchen Krieg verhindern. Auch politische Interessen sprechen gegen einen Krieg. Weder die Nachbarn Kroatien und Serbien noch die Parteien in Bosnien haben wirkliche Interessen an einem grossen Krieg.»
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Bild 1 von 3. Jelena Šutic, bosnische Kroatin: «In einem Krieg würde ich wahrscheinlich nicht kämpfen. Ich liebe dieses Land und für mich sind alle gleich.». Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 3. Bekir Halilovic, Bosniake: «Der Frieden wird kommen, sobald wir alle gemeinsam an einem Tisch sitzen und endlich miteinander sprechen: ehrlich und friedlich.». Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 3. Dragana Vuckovic, bosnische Serbin: «Leider ist es immer das Gleiche: Immer vor nationalen oder regionalen Wahlen reden die Politiker über Krieg. Sie nutzen die Spannung für ihre eigenen Ziele aus.». Bildquelle: SRF.
Das Schüren von Spannungen zwischen den Volksgruppen ist für die Expertin Calic ein Mittel, um von den eigentlichen Problemen Bosniens abzulenken: von Korruption, Misswirtschaft und fehlenden Zukunftschancen.