Eilig sperrt die Polizei die Zufahrtsstrassen zum Platz vor dem argentinischen Kongress. «Ohoho, die gefährlichen Rentner kommen», sagt ein Mann mit Gehstock und schütterem Haar. Wasserwerfer fahren auf, Dutzende von Polizisten in schwarzer Uniform, mit Helm und Schutzschild stehen in Reih und Glied.
An die Hundert Pensionäre stehen auf dem Trottoir, viele haben Schutzbrillen dabei, aus Angst vor Pfefferspray, den die Polizei bereits mehrfach bei Rentnerprotesten eingesetzt hat.
Die Rentner wollen eine Runde um das Kongressgebäude drehen, aus Protest gegen magere Renten und die Sparpolitik von Präsident Javier Milei, wie jede Woche. «Und jedes Mal marschiert die Polizei auf», sagt Raúl Roverano, Ingenieur im Ruhestand. «Wer hätte das gedacht? Wir Rentner sind anscheinend ziemlich lästig.» Roverano gehört der Gruppe «Jubilados Insurgentes» an, den «aufständischen Rentnern».
Präsident Milei fährt harten Sparkurs
Der argentinische Präsident Javier Milei hatte es im Wahlkampf angekündigt: Mit der Kettensäge wolle er Staatsausgaben kürzen, sechs Prozent des Staatshaushaltes. Und Milei hält Wort: Öffentliche Bauaufträge, Kultur, Bildung, überall wird gespart.
Besonders hart getroffen hat es die Rentner: Die Kaufkraft der Pensionen ist seit Amtsantritt von Milei im Dezember um fast 30 Prozent gesunken. Die Mindestrente liegt bei umgerechnet rund 250 Schweizer Franken, bei europäischen Lebenshaltungskosten. Ein Liter Milch kostet rund 1.20 CHF, eine Einzimmerwohnung in Buenos Aires gibt es nicht unter 450 Franken. Manche Medikamente sind teurer als in den USA. Mindestens drei von zehn Rentnern leben unterhalb der Armutsgrenze.
Ein Gesetz, das bereits vom Parlament verabschiedet worden war, sollte die Mindestrente um umgerechnet 16 Franken im Monat anheben – doch Präsident Milei legte sein Veto ein. Sein Ziel sei ein ausgeglichener Haushalt: «Das Finanzdefizit war die Folge dessen, dass zuerst über Ausgaben nachgedacht wurde und danach, wie man diese finanzieren kann. Wir machen es anders.»
Lorenzo Sigaut Gravina von der Wirtschaftsberatungsfirma Equilibra sagt: Aus finanzpolitischer Sicht sei das Präsidentenveto nachvollziehbar. «Es mag sein, dass man anderswo hätte sparen können. Aber, in Anbetracht des Ausmasses des Defizits ist es schwierig, nicht überall ein Stück weit zu kürzen. Und das betrifft auch die Renten.»
Rentner leiden unter Sparkurs
Staatsfinanzen versus soziale Härte – eine umstrittene Entscheidung. Viele Rentner und Rentnerinnen haben nicht genug zu essen und können sich ihre Medikamente nicht mehr leisten. Sogar der Papst mischt sich inzwischen ein, bei einem Kongress in Rom sagte er in Bezug auf die Rentnerproteste in Argentinien: «Die Regierung hat Position bezogen: Anstatt sozial gerecht zu handeln, hat sie Pfefferspray gekauft.»
Erstmals seit Amtsantritt im Dezember 2023 sind im September die Zustimmungswerte für Milei in der Wirtschaftskrise und nach seinem Veto für die Rentenanpassung gesunken. Zwar hat er noch immer eine Zustimmung von 46 Prozent, doch bewerten inzwischen mehr als 50 Prozent seine Regierung als «schlecht» oder «sehr schlecht».
«Vermutlich dachte der Präsident, dass wir Rentner den Leuten egal sind», sagt Raúl Roverano, der pensionierte Ingenieur. «Aber, bei jedem Protest werden wir mehr.» Der Konflikt um die Renten in Argentinien ist noch lange nicht vorbei.