Es könnte bis Ende Juli einen Deal geben, verkündete der britische Premierminister Boris Johnson Mitte Juni nach intensiven Gesprächen mit der EU-Spitze. Dass ein Brexit-Deal aber noch in weiter Ferne ist, wurde heute einmal mehr deutlich.
Nach der letzten Verhandlungsrunde im Juli verkünden beide Seiten, dass es nach wie vor grosse Differenzen gebe. Der britische Unterhändler David Frost klang bei seinen Ausführungen zu den Verhandlungen zwar positiver als EU-Chefunterhändler Michel Barnier, aber auch bei Frost wird deutlich: Solange die EU die Unabhängigkeit Grossbritanniens zum Ende des Jahres nicht akzeptieren wolle, werde es keinen Deal geben.
Die gemeinsamen Spielregeln
Seit dem Beginn der Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien fällt der Ausdruck des «Level-Playing-Field.» Unter diesem Begriff sind der EU-Binnenmarkt und dessen Regeln zu verstehen.
Die Position der Europäischen Union ist klar: Wenn Grossbritannien im grössten Wirtschaftsraum der Welt mitspielen möchte, müssten die festgelegten Regeln in Bezug auf Arbeitsrechte oder Umweltstandards akzeptiert werden. Das oberste Ziel der EU ist es, dass es keine Wettbewerbsverzerrungen gibt.
Müsste sich Grossbritannien aber an all diese Regeln respektive EU-Standards halten und auch den Europäischen Gerichtshof als oberste juristische Instanz akzeptieren, würde Brexit aus der Perspektive der Briten keinen Sinn machen.
Staatsbeihilfen sind in der EU nicht erlaubt
Einer der am intensivsten diskutierten Streitpunkte bei den Verhandlungen bezüglich des «Level-Playing-Field» sind die Staatsbeihilfen. Diese sind innerhalb der EU, mit einigen Ausnahmen, grundsätzlich nicht erlaubt. Dieser Grundsatz soll auch für die Briten gelten.
Staatsbeihilfen können nämlich den Wettbewerb verzerren, erklärt Jannike Wachowiak, Wirtschaftsexpertin bei der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. «Wenn beispielsweise Boris Johnson die Autohersteller in Nordengland unterstützt, könnten diese Produzenten plötzlich einen grossen Vorteil im Vergleich mit Fahrzeugproduzenten innerhalb der EU haben.»
Abkommen nach dem Vorbild Kanadas
Solche Staatsbeihilfen seien allerdings für die britische Wirtschaft wegen Brexit und auch wegen der Folgen der Corona-Pandemie wichtig, sagt der Abgeordnete der konservativen Partei, Marc Francois, gegenüber SRF: «Wann und wie wir das tun, wollen wir selbst entscheiden. Wir mischen uns bei der EU auch nicht ein.»
Aus diesem Grund strebt Grossbritannien ein Abkommen an, das ähnlich ausgestaltet sein soll, wie jenes zwischen der EU und Kanada. Bezüglich der Staatshilfen gibt es bei diesem Abkommen kaum Regeln. Allerdings habe Grossbritannien eine ganz andere Ausgangssituation als Kanada, sagt Jannike Wachowiak.
Grossbritannien ist die Konkurrenz vor der Haustüre. Deshalb ist die EU so strikt.
Kanada sei geografisch viel weiter weg und Grossbritannien fordere einen viel umfassenderen Zugang zum europäischen Binnenmarkt als Kanada. «Grossbritannien ist die Konkurrenz vor der Haustüre. Deshalb ist die EU so strikt.»
Trotz der verhärteten Positionen besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass es bis zum Jahresende einen Deal zwischen der EU und Grossbritannien geben wird. Ab Mitte August wollen sich die Unterhändler für weitere Verhandlungen treffen.
Sollte es allerdings bis zum Herbst kein Handelsabkommen geben, könnte es am Ende des Jahres zu einem harten Bruch zwischen zwei Partnern kommen, die über Jahrzehnte denselben Wirtschaftsraum geteilt haben.