Der Anführer der islamistischen syrischen Rebellen, Abu Mohammed al-Golani, steht vor seinem grössten Triumph: In einem unglaublichen Tempo führte er die Rebellen nach Damaskus und stürzte Präsident Baschar al-Assad nach 24-jähriger Herrschaft.
Golanis Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), früher bekannt als Nusra-Front, hat sich schon länger zur mächtigsten der zahlreichen Rebellengruppen entwickelt, die während des Aufstands gegen Assad entstanden sind.
Golani gibt Interviews
Der Mann, der mit bürgerlichem Namen Ahmed al-Scharaa heisst, hat sein Auftreten radikal geändert: von einem Anführer der radikal-islamistischen Al-Kaida, der sich geheimnisvoll gab und aus der Öffentlichkeit heraushielt, zu einem Freiheitskämpfer, der gemässigte Töne anschlägt und westlichen Sendern Interviews gibt.
Die Verwandlung wurde besonders deutlich, als HTS-Rebellen vergangene Woche Aleppo eroberten. Golani trat dabei prominent in Erscheinung: Ein Video zeigte ihn in Militäruniform, wie er telefonisch Befehle erteilte und Kämpfer dazu aufrief, die Bevölkerung zu schützen und das Betreten von Häusern zu untersagen.
«Niemand hat das Recht, eine Minderheit auszulöschen», sagte er in einem am Freitag ausgestrahlten Interview mit CNN. Am Mittwoch besuchte er die Zitadelle von Aleppo, begleitet von einem Kämpfer, der eine Flagge der syrischen Revolution schwenkte – ein Symbol, das von der Nusra-Front noch abgelehnt worden war.
Immer noch ziemlich radikal
«Golani war klüger als Assad. Er hat sich neu aufgestellt, neue Verbündete gewonnen und eine Charmeoffensive gegenüber Minderheiten gestartet», analysiert Joshua Landis, ein Syrien-Experte und Leiter des Center for Middle East Studies an der University of Oklahoma.
Golani ist der wichtigste Rebellenführer in Syrien, der mächtigste Islamist.
Aron Lund vom Think Tank Century International warnt, Golani und HTS hätten sich zwar deutlich verändert, seien aber immer noch ziemlich radikal. «Es ist PR, aber die Tatsache, dass sie sich überhaupt darum bemühen, zeigt, dass sie nicht mehr so festgefahren sind, wie sie es einst waren. Die alte Al-Kaida oder der Islamische Staat hätten das nie getan», sagte er. Golani sei «der wichtigste Rebellenführer in Syrien, der mächtigste Islamist.»
Sein erstes Medieninterview gab Golani 2013, sein Gesicht in einen dunklen Schal gewickelt, mit dem Rücken zur Kamera. In einem Gespräch mit dem arabischen Sender Al-Dschasira forderte er, dass Syrien nach der Scharia regiert werden solle. Etwa acht Jahre später blickte er in einem Interview mit dem US-Sender PBS offen in die Kamera, gekleidet in Hemd und Jacke. Golani sagte, die Einstufung als Terrorist sei unfair und er sei gegen die Tötung unschuldiger Menschen.
Verwalter in Idlib
2016 erklärte Golani die Trennung von Al-Qaida und die Gründung der HTS. In Syrien festigte die Gruppe ihren Griff in der nordwestsyrischen Provinz Idlib und etablierte dort eine zivile Verwaltung. Es gibt Vorwürfe der Gewalt an politischen Gegnern und Journalisten, aber Experte Lund betont, HTS habe Fähigkeiten in Logistik und Verwaltung bewiesen, indem die Gruppe ihr eigenes Territorium in Idlib jahrelang regierte.
Die HTS-Verwaltung hat inzwischen ebenfalls mehrere Erklärungen abgegeben, um syrische Minderheiten wie die Alawiten zu beruhigen. In einer Botschaft an die Bewohner einer christlichen Stadt südlich von Aleppo sagte Golani am Mittwoch, sie würden geschützt und ihr Eigentum.