Die geballte Ladung an westlichen Sanktionen und die öffentliche Verurteilung der russischen Gräueltaten in den besetzten Gebieten der Ukraine isolieren Russland zunehmend. Das gehe auch an den Menschen in Moskau nicht spurlos vorbei, berichtet SRF-Korrespondent Christof Franzen, der eben aus der russischen Hauptstadt zurückgekehrt ist.
SRF News: Wie erlebten Sie die Stimmung in Moskau?
Das hängt ganz stark davon ab, mit wem man spricht. Die eher pro-westlich eingestellte Seite mit liberalen und progressiven Moskauerinnen und Moskauern sieht Russland auf eine Katastrophe zusteuern. Sie haben insbesondere Angst vor einer Generalmobilmachung, die sie oder ihre Söhne plötzlich in die Armee einziehen würde. Diese Menschen sind quasi in einer Schockstarre.
Die eher pro-westlich eingestellten Menschen sehen Russland auf eine Katastrophe zusteuern.
Ganz anders die Imperialisten auf der anderen Seite, die genau das fordern: Russland müsse mehr tun für den Sieg, es brauche eine solche Mobilmachung. Es sind auch diese Kreise, die interessanterweise die Regierung noch öffentlich kritisieren können.
Ein grosser Teil der Menschen wurstelt sich wohl irgendwie durch. Sie wissen Bescheid über den Krieg in der Ukraine und nehmen die offiziellen Nachrichten mehr oder weniger zur Kenntnis. Aber sie versuchen, ihr Leben so weit wie möglich zu leben, ohne allzu viel mit den Geschehnissen in der Ukraine zu tun zu haben.
Als Russland um die Krim kämpfte, war die Unterstützung im Land ziemlich gross. Wie ist das jetzt beim Engagement in der Ukraine?
Das ist jetzt völlig anders. 2014 herrschte eine grosse Euphorie. «Die Krim gehört uns» war damals der Slogan. Man hatte das Gefühl, dass es den Menschen wirklich guttat. Es wärmte die Seelen der Menschen auch in fernen Regionen, die vielleicht ein schwieriges Leben haben. Die russische Demonstration der Stärke gefiel.
Von einer Euphorie wie anlässlich der Krim-Annexion 2014 ist nichts mehr zu spüren.
Diesmal mag die Unterstützung offiziell auch hoch sein. Aber es ist wohl ein eher passives Gefühl. Von den aktuellen Symbolen der jetzigen Kriegsführung wie etwa dem «Z» ist wenig zu sehen. Der häufige Tenor in Gesprächen: Es musste vielleicht sein, man musste da mal etwas machen.
Spüren die Menschen in Moskau mittlerweile die Sanktionen des Westens?
Auf den ersten Blick nicht. In den Läden ist eigentlich alles an Lebensmitteln und Gebrauchsartikeln vorhanden. Es hat allerdings einiges geändert. Es gibt keine Direktflüge mehr in den Westen. Die Preise sind um 15 bis 20 Prozent gestiegen, was alle spüren und beklagen. Zum Teil sind auch nicht mehr alle Medikamente erhältlich und Autoersatzteile fehlen. Die grossen westlichen Firmen haben zum Teil ihre Tore geschlossen. Das ist vor allem für Moskauerinnen und Moskauer schmerzhaft, die sich in den letzten Jahren an ein anderes Leben gewöhnt haben.
Beobachter befürchteten zu Beginn des Kriegs, die Sanktionen könnten die Bevölkerung hinter Putin treiben. Ist das eingetreten?
Ein Stück weit wohl schon. In den Gesprächen mit westlichen Medienvertretern wird eine Trotzreaktion spürbar: Mit Sanktionen kann man Russland nicht in die Knie zwingen, Russland habe schon ganz anderes durchgemacht und sei immer noch da, heisst es etwa.
Bis die Schmerzgrenze erreicht ist, wird es wohl noch Monate dauern.
Das ist natürlich eine Momentaufnahme. Bis die Schmerzgrenze erreicht ist, wird es wohl noch Monate dauern. Aber wenn der Krieg weitergeht und die Sanktionen immer stärker wirken, ist fraglich, wie lange die Unterstützung für die Regierung anhält.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.