Die Auseinandersetzungen rund um die Unabhängigkeit Kataloniens sind nach wie vor eines der grossen Themen in der spanischen Politik. Am Dienstag hätte das spanische Parlament einen wichtigen Schritt machen können – mit der Verabschiedung des Amnestiegesetzes. Dieses sollte allen Straffreiheit gewähren, die sich 2017 an der illegalen Volksabstimmung zur Abspaltung Kataloniens beteiligt hatten.
Doch der Kongress lehnte das Gesetz ab. Dies wegen der Nein-Stimmen der katalanischen Separatistenpartei Junts. Sie hatte noch versucht, gewisse Änderungen ins Gesetz zu bringen, scheiterte damit aber.
Verhandlungen gehen weiter
Es ist eine grosse Niederlage für die aktuelle Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez. Sein Regierungsbündnis gründete auf den Plänen zur Amnestie. Ganz verloren hat die Regierung aber nicht. Denn vom Tisch ist das Amnestiegesetz noch nicht. Es muss jetzt einfach in eine zweite Runde gehen. Die parlamentarische Kommission wird es nochmals beraten, dann wird es einen zweiten Anlauf im Parlament geben.
Klar ist aber: Junts – die Partei des geflohenen früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont – hat die Muskeln spielen lassen und ihre Macht aufgezeigt, indem sie die Amnestie im ersten Anlauf zum Scheitern gebracht hat. Für die rechten Oppositionsparteien ist dies ein weiterer Beweis dafür, dass die neue spanische Regierung des sozialistischen Premiers Pedro Sánchez im Würgegriff des separatistischen Lagers ist. Sánchez habe sich den katalanischen separatistischen Kleinparteien ausgeliefert.
Wird Spanien von Waterloo aus regiert?
Die Opposition nennt das Erpressung. In Anspielung auf den im Exil lebenden Carles Puigdemont hört man deshalb oft: Spanien werde von seinem Wohnsitz (dem belgischen Waterloo) aus regiert.
So könne man das nicht sagen, widerspricht Enric Juliana. Der stellvertretende Leiter der grössten katalanischen Zeitung «La Vanguardia» publiziert seit über 20 Jahren zur Politik in Madrid. «Puigdemont bestimmt die Politik der Regierung zwar mit, aber so wie andere Parteien auch. Er ist nicht der einzige.»
Dass die Partei Junts im Regierungsbündnis mitmacht, bedeutet, dass sie den Separatismus in der Praxis aufgegeben hat.
Wenn Junts nun die harte Verhandlungspartnerin spiele, dann sei das in erster Linie ein Zeichen an die eigene Wählerschaft, relativiert der katalanische Journalist Enric Juliana. Er interpretiert die aktuellen Verhandlungen ganz anders: Dass Junts – und auch die anderen separatistischen Kleinparteien – im Regierungsbündnis mitmachen, bedeute, dass sie ihren Separatismus in der Praxis aufgegeben hätten.
Sie versuchten nur noch, trotz dieser Abkehr ihr Gesicht zu wahren, sagt Juliana. «Indem sie, obwohl sie aufgehört haben, separatistisch zu sein, trotzdem weiterhin von der Unabhängigkeit sprechen.» Und eben auch mit Vehemenz ihre Forderungen gegenüber der Regierung vertreten.
Regierungsbündnis wirkt instabil
Politbeobachter Enric Juliana kommt deshalb zum Schluss: So unstabil das zusammengewürfelte spanische Regierungsbündnis auch wirke, es könnte länger Bestand haben, als viele vermuten. Und das entspreche auch dem, was die meisten Leute wollten – nämlich ein tolerantes, ruhiges Spanien.