Als in der Strafkolonie Oleniwka im Osten der Ukraine am 29. Juli bei einer Explosion über 50 Kriegsgefangene starben, war Jewgeni Maljartschuk seit drei Wochen in Freiheit. Wir treffen den 35-Jährigen aus Mariupol in seinem temporären Zuhause in Warschau.
«Als sich in Mariupol eine Katastrophe anbahnte, entschied ich, dass ich versuchen muss, dorthin zu fahren, um meine Eltern aus der Stadt zu bringen.» Aus Kiew fuhr er in den Osten des Landes: «Ich habe einen Sprinter gekauft, den Wagen mit Hilfsgütern gefüllt und mit der Aufschrift ‹Freiwillige› zugeklebt.»
Zu diesem Zeitpunkt toben in der Stadt heftige Kämpfe. Jewgeni wird nicht ins Viertel seiner Eltern gelassen. Von Russland unterstützte Separatisten erlauben ihm die Durchfahrt nicht. Jewgeni evakuiert Zivilisten aus anderen Teilen der Stadt. An einem Kontrollposten der Separatisten wird er angehalten: «25 Kilometer von Mariupol entfernt wurde ich gezwungen, alle Leute auszuladen. Mein Auto und meine Sachen hat man mir genommen, und es wurden Fingerabdrücke genommen. Es hiess: «Für welchen Scheiss sind Sie hergefahren? Wir bringen es fertig, dass Sie nicht mehr herfahren wollen.»
Aus dem Vorort von Mariupol bringt man Jewgeni in ein Untersuchungsgefängnis nach Starobeschewe und von dort nach Donezk zum Verhör. Er wird mit anderen Freiwilligen zu 30 Tagen Haft verurteilt und in die Strafkolonie nach Oleniwka gebracht.
Überfüllte Zellen und leere Teller
Die ersten Wochen verbringt Jewgeni mit anderen Freiwilligen in den Zellen von Oleniwka. Dort seien die Bedingungen prekär gewesen: «Wir haben uns in der Zelle mit Schlafen abwechseln müssen. Gleichzeitig konnten wir uns nicht alle auf den Boden legen, dafür war zu wenig Platz.»
Während seiner Gefangenschaft verliert er 15 Kilogramm an Gewicht. Zum Hunger kam die Gewalt gegenüber den Gefangenen: «Schläge gab es überall und jederzeit während der Gefangenschaft. Zwei Tage, bevor die Kriegsgefangenen des Asow-Regiments zu uns kamen, wechselte die Zuständigkeit für die Strafkolonie. Flaggen der selbsterklärten Volksrepublik verschwanden. Es kamen der russische Inlandsgeheimdienst FSB und russische Gefängnisaufseher.»
Wir haben uns in der Zelle mit Schlafen abwechseln müssen. Gleichzeitig konnten wir uns nicht alle auf den Boden legen.
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Jewgeni nicht mehr in den Strafzellen, sondern in einer der Baracken der Strafkolonie. Am 4. Juli wird er nach 100 Tagen mit anderen aus der Gefangenschaft entlassen.
Als am 29. Juli bei einer Explosion in Oleniwka 53 Kriegsgefangene getötet und über 70 verletzt werden, weist Russland die Schuld der Ukraine zu. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums sagte: «Die strafrechtliche, moralische und politische Verantwortung für den blutigen Angriff trägt Selenski persönlich, sein Verbrecher-Regime und die Unterstützer in Washington.»
Im russischen Fernsehen werden die Überreste einer US-amerikanischen Himars-Rakete gezeigt. Dies soll die Schuld der ukrainischen Seite für die Explosion belegen. Obwohl es von russischer Seite zu Beginn hiess, man sei bereit, Untersuchungskommissionen des Roten Kreuzes und der UNO vor Ort zu lassen, hat bis heute keine unabhängige Kommission Zutritt erhalten.
Zweifel eines ehemaligen Gefangenen
Beim Betrachten der Bilder aus der Strafkolonie nach der Explosion kommen bei Jewgeni Zweifel auf: «Ich habe alle Gebäude der Strafkolonie gesehen. Dieses Gebäude ist keine Baracke des bewohnten Teils der Strafkolonie. Die Strafkolonie teilt sich auf in Wohn- und Fabrikgelände. Das Fabrikgelände war geschlossen. Zum Zeitpunkt unserer Freilassung hielt sich dort niemand auf.»
Er vermutet, dass die Gefangenen absichtlich dorthin gebracht worden seien: «Ich erkenne die Symbole beim Eingang zum Fabrikgelände. Mir scheint, die Gefangenen wurden gezielt aus dem Wohn- auf das Fabrikgelände gebracht.»
Jewgeni ist mit dem Leben davongekommen. War er vor Kriegsausbruch selbstständiger Unternehmer, so plant er jetzt, den Kriegsbetroffenen in der Ukraine zu helfen. Vorerst aus der Ferne in Warschau.