Japan will 1.3 Millionen Kubikmeter vorab gereinigtes und gefiltertes radioaktives Kühlwasser des AKW Fukushima ins Meer einleiten. Die internationale Atombehörde IAEA ist mit den Plänen einverstanden. China hat nun angekündigt, Lebensmittel aus Teilen Japans zu verbieten, sollte Tokio die Pläne umsetzen. Doch der Boykott hat auch andere Gründe, weiss der freie Journalist Fabian Kretschmer.
SRF News: Woher kommt der Widerstand?
Fabian Kretschmer: Neben der geografischen Nähe gibt es zwei weitere Gründe. Japan wird immer noch als historisches Feindbild betrachtet. Es hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teile von China kolonialisiert, und da gab es fürchterliche Menschenrechtsverbrechen. Immer wenn es um Japan geht, dann kommen diese historischen Wunden hervor. Noch wichtiger ist aber: Tokio sagt immer offener, dass China eine Bedrohung ist – politisch, aber auch wirtschaftlich. Vor diesem politischen Hintergrund muss man die Kritik sehen.
Was wirft denn China Japan vor?
China denkt, Japan wolle das Land gemeinsam mit den anderen US-Alliierten in der Region – besonders Südkorea – eindämmen. Das kann man zum Beispiel auch daran sehen, dass sich der japanische Premier Fumio Kishida in den letzten Tagen mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol und US-Präsident Joe Biden getroffen hat. In Camp David haben sie beschlossen, dass man enger kooperieren will. Vor allem sicherheitspolitisch, aber auch militärisch. Das ist für China eine grosse Bedrohung. Peking hat Angst, dass hier so eine Art zweite Nato in Ostasien entsteht.
Dann klingt die Kritik an den Plänen, das Fukushima-Kühlwasser ins Meer zu leiten, eher wie ein vorgeschobener Grund.
Meiner Meinung nach ist das eher eine Scheindebatte. Man muss ja bedenken, dass nicht nur das Kühlwasser aus Fukushima ins Meer geleitet wird. Laut der Atomaufsichtsbehörde IAEA leiten auch Atomkraftwerke in China oder den USA und Südkorea Kühlwasser ins Meer ab. Und wenn man sich die Werte anschaut – also die «radioaktive Verseuchung», wie es ja China nennt –, dann ist das im Grunde vernachlässigbar. Die radioaktive Variante des Fukushima-Wassers, Tritium, ist in ganz niedrigem Mass noch enthalten nach der Filterung und Bearbeitung des Wassers. Dieser Wert liegt deutlich unter dem, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Das heisst: wissenschaftlich relativ unbedenklich.
Zwischen Japan und Südkorea gibt es wie gesagt Annäherungen. Doch auch in Südkorea regt sich Widerstand gegen das Fukushima-Kühlwasser. Warum?
Dort geht der Widerstand nicht so sehr von der Politik aus, weil da gerade die Annäherung zu Japan im Vordergrund steht und die Regierung einen Kompromiss gefunden hat. Aber innerhalb der Bevölkerung gibt es grossen Groll gegen diese Entscheidung. Da sind sehr grosse Ängste. Zum Beispiel will man quasi proaktiv Meeresfrüchte und Fisch aus den Gewässern boykottieren.
In Südkorea spielen ebenfalls historische Feindbilder hinein.
Bei der Zivilgesellschaft, die vor allem links geprägt ist, ist es sogar noch extremer. Dort spielen ebenfalls historische Feindbilder hinein, denn Japan hat auch die koreanische Halbinsel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kolonialisiert. Und da kommt es halt auch zu wirklich irrationalen Debatten, meiner Meinung nach. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul sieht man zum Beispiel etliche Proteste, und auch die Tageszeitungen sind voll mit dem Thema. Es beschäftigt die Leute vor allem emotional.