Nach dem Sturm auf das Kapitol haben Twitter und Facebook die Accounts des US-Präsidenten vorübergehend gesperrt. Auslöser für die Sperren war unter anderem ein Video, in dem Donald Trump seine Anhänger zwar dazu aufrief, sich zurückzuziehen, gleichzeitig aber Sympathien für die Angreifer zeigte. Laut USA-Experte Christian Lammert könnte diese Sperrung Wirkung zeigen – wenn auch beschränkt.
SRF News: Wie kommen die Sperren der Social-Media-Accounts bei Trumps Anhängerinnen und Anhängern an?
Christian Lammert: Sie werden das weiter als Verschwörung des Establishments sehen. Trump sagt seit längerem, es gebe eine Verschwörung der Demokraten und der Tech-Industrie gegen ihn – also genau jener grossen Unternehmen wie Twitter, Google und auch der Medien. Von seinen Anhängern wird dieser Schritt nun so interpretiert, dass man versucht, den Präsidenten zum Schweigen zu bringen.
Werden diese Massnahmen manche Trump-Anhänger vielleicht zum Umdenken bewegen?
Die Frage ist, wie effektiv sie sein werden. Jetzt bekommen seine Anhänger für eine gewisse Zeit keine direkten Botschaften mehr. Er wollte an den etablierten Medien vorbei mit seinen Anhängern kommunizieren. Das kann er so einfach nicht mehr. Er muss den offiziellen Kanal des Weissen Hauses oder andere Accounts nutzen. Daher kann das schon Wirkung zeigen.
Die Sperren sind ein wichtiger symbolischer Akt, um zu zeigen, dass ein Präsident nicht eine Lüge nach der anderen verbreiten kann.
Aber das Medien- und Öffentlichkeitsnetzwerk in diesen rechten Sphären verbreitet diese Botschaften weiter, daher werden die Sperren nicht sehr effektiv sein. Aber sie waren ein wichtiger symbolischer Akt, um zu zeigen, dass bestimmte Standards im öffentlichen Diskurs einzuhalten sind, und dass ein Präsident nicht eine Lüge nach der anderen verbreiten kann. Twitter hat eine Diskussion angestossen, die nun auch die Politik führen muss.
Wie wird Trump in seiner Kommunikation weiter verfahren?
Die Sperre wird ihm schaden. Wenn Trump weder das Weisse Haus noch einen Twitter-Account hat, wird es ihm schwerer fallen, seine Botschaften zu kommunizieren. Deshalb überlegt er, einen eigenen Medienkanal aufzumachen, wenn er nicht mehr Präsident ist – und das wird fürchterlich. Er wird versuchen, das fortzusetzen, was er vier Jahre gemacht hat: Unwahrheiten verbreiten, die neue Administration kritisieren und das Vertrauen in politische Institutionen unterminieren.
US-Experten sind der Meinung, dass die Sperren von Facebook und Twitter zu wenig seien und zu spät kommen. Was denken Sie?
Das finde ich auch. Twitters Anmerkungen unter fast jedem Trump-Tweet waren ein richtiger Schritt. Aber es braucht auch einen öffentlichen Diskurs, in dem man sich auf Fakten verständigen kann. Man kann politisch unterschiedliche Ansichten haben, aber aus einem Regierungsamt verbreitete Lügen zerstören das Vertrauen in die Demokratie. Die USA leben derzeit in zwei Realitäten. Der sichtbarste Ausdruck war die Erstürmung des Kapitols. Medien und politische Eliten müssen für einen Diskurs sorgen, in dem die Leute wieder daran glauben, dass man über etwas Gemeinsames redet.
Was können die Social-Media-Plattformen dazu beitragen?
Genau das, womit sie jetzt anfangen: Unwahrheiten kenntlich machen, Accounts rigoroser sperren, nicht nur die des Präsidenten. Bewegen Sie sich mal ein paar Tage in diesen rechten verschwörungstheoretischen Räumen. Sie haben das Gefühl, Sie leben in einer anderen Welt. Es müssen Wege gefunden werden, wie man solche gefährlichen Diskurse einschränkt, denn sie schaden dem politischen Frieden in den USA.
Das Gespräch führte Claudia Weber.