Der Kontrast könnte nicht grösser sein. Während Damaskus nach 13 Jahren Krieg beinahe unversehrt ist, liegen die Vorstädte in Ghouta, im Umland der Hauptstadt, in Trümmern. Die Vororte unter Kontrolle der Rebellen wurden von 2013 bis 2018 vom Regime belagert.
400'000 Einwohnerinnen und Einwohner waren abgeschnitten von Nahrung und medizinischer Versorgung. Immer wieder bombardierte die syrische Luftwaffe die Ortschaften. Im Frühling 2018 schliesslich ergaben sich die Aufständischen. Zusammen mit Zehntausenden Zivilistinnen und Zivilisten wurden sie in die nördliche Rebellen-Enklave Idlib deportiert.
Zurück aus dem Exil in Idlib
Auch Giftgasangriffe wurden hier verübt. Zum Beispiel in Zamalka. Vor der Gemeindeverwaltung hat sich an diesem Vormittag Mitte Dezember eine kleine Gruppe versammelt. Auch Amin al-Sheikh ist hier. Der 50-Jährige hat sich eine Kalaschnikow um die Schulter gehängt. Er ist erst seit wenigen Tagen zurück aus dem erzwungenen Exil in Idlib.
Al-Sheikh hat im August 2013 den Giftgas-Angriff miterlebt. «In den Kliniken und Spitälern habe ich nach Angehörigen gesucht, reihenweise Getötete und Verletzte gesehen. Die Spitäler hatten nicht genügend Platz an jenem Tag.» Amin al-Sheikhs Familie überlebte den Angriff.
Maher Zaki Handoush verlor seine Frau, zwei seiner drei Töchter und seinen Bruder mitsamt Kindern. Videos zeigen ihn verzweifelt, mit seinen zwei toten Mädchen im Arm.
«Schergen des Regimes wollten mich zwingen, am Fernsehen zu sagen, ich hätte Puppen getragen, nicht meine toten Töchter.» Als er sich weigerte, hätten sie ihn gefoltert und vor ein Terrorgericht gezerrt. Er öffnet den Mund und zeigt fehlende Zähne. «Die haben sie mir ausgeschlagen.»
Die Angst ist weg
Handoushs Hände zittern, als er seine Geschichte erzählt. Auch seine Schwägerin Samar al-Masri zittert. In jener Nacht, als die mit Nervengas bestückte Rakete einschlug, sei sie mit Mann und Kindern nach draussen gerannt. Dort verloren sie das Bewusstsein, sagt Masri.
«Wir wachten im Spital auf und wussten nicht, wo unsere Kinder waren. Erst nach drei Tagen informierten sie uns, dass unsere beiden Söhne nicht überlebt hatten». Bis heute hätten sie sich nicht getraut zu sagen, dass ihre Kinder tot sind, und schon gar nicht, wie sie gestorben seien. «Aber jetzt reden wir. Und wir sagen: Bashar al - Assad und seine Helfer haben unsere Kinder getötet.» Wie ihr Schwager ist auch Samar al-Masri erleichtert. Die Angst vor der Repression ist weg.
Passive Reaktion der internationalen Gemeinschaft
Die Verbrechen des Regimes hätten ihn nicht erstaunt, sagt Amin al-Sheikh, der Rückkehrer aus Idlib. Der eigentliche Schock sei die passive Reaktion der internationalen Gemeinschaft gewesen. «Das führt zur Radikalisierung: wenn die Menschen spüren, wie wenig Wert ihr Leben hat für die Welt.»
Er zeigt uns das Massengrab, in dem die Anwohner damals die Opfer des Giftgas-Angriffes bestatteten. «Der Schmerz sitzt tief. Ich weiss nicht, wie realistisch das Wort Vergebung ist. Aber wir müssen vorwärtsschauen und zusammenstehen». Zumindest die Befehlshaber des Assad-Regimes sollten sich nun vor Gericht verantworten, meint Amin al-Scheikh.