Die Nato ist zwar die mächtigste Militärallianz der Welt. Doch sie nützt ihr Potenzial suboptimal. Zumal es unter den europäischen Nato-Mitgliedern bei der Zusammenarbeit harzt. Das soll nun mit «Pesco», einer milliardenschweren EU-Kooperationsinitiative mit fast 50 konkreten Einzelprojekten, auch «militärisches Schengen» genannt, verbessert werden.
Von gemeinsamen Rüstungsvorhaben über die verbesserte grenzüberschreitende Mobilität von Armeen bis zum engeren Schulterschluss bei Einsätzen, in der Militärsprache «Interoperabilität» genannt. Kurz: Europas Streitkräfte sollen handlungsfähiger, schneller und vernetzter werden. Neben den meisten EU-Ländern machen bei «Pesco», wie kürzlich beschlossen, auch die Nato-Mitglieder USA, Kanada und Norwegen mit.
EU-Beitritt der Türkei in weiter Ferne
Nun will das auch die Türkei. Das erstaunt auf den ersten Blick. Denn der Tonfall zwischen Brüssel und Ankara ist gehässig: Ob es um die Libyen-Politik oder um die Wiedervereinigung Zyperns geht, welche die Türkei inzwischen offen ablehnt, oder aber um Menschenrechtsfragen: Es herrscht kaum irgendwo Einigkeit. Ein Beitritt zur EU liegt so fern wie schon lang nicht mehr.
Ähnlich in der Nato: Zwar gilt die Türkei dort weiter als unverzichtbarer Partner, weil sie die unruhige Südostflanke der Allianz abdeckt. Aber dass sich die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan militärisch an Russland anlehnt und dessen S-400-Fliegerabwehrsystem beschafft, beobachtet die Nato mit grösstem Misstrauen. Denn Moskau erhielte Zugang zu geheimen Nato-Daten, falls die S-400-Raketen mit Nato-Systemen gekoppelt würden.
Lauter ertönt auch die Frage, ob die immer autoritärer regierte Türkei überhaupt noch ins westliche Bündnis passt, da sich dieses nicht nur als Militärallianz, sondern auch als Wertegemeinschaft versteht.
Motivation hinter Teilnahmewunsch
Der türkische Beitrittsantrag zu «Pesco» wirft also Fragen auf. Sieht sich die Türkei als trojanisches Pferd? Will sie bei der EU-Verteidigungsinitiative bloss mitmachen, um vieles zu blockieren? Oder um sich in einem zentralen Bereich, der Verteidigung, auch als EU-Nichtmitglied ein Mitspracherecht zu sichern? Oder beginnt in Ankara tatsächlich ein Umdenken? Hat Erdogan realisiert, wie sehr die zunehmende Feindseligkeit gegenüber der EU und sein trotziges Verhalten in der Nato seinem Land unter dem Strich schaden?
Falls das zutrifft, wäre das Engagement bei «Pesco» nach langem wieder einmal ein türkischer Schritt auf Europa, auf den Westen zu. Daran müssten die EU wie die Nato ein Interesse haben. Zwar ist es mit der Türkei als Partner schwierig, doch ohne sie geht es eben auch nicht.
Allerdings: Wenn die EU den türkischen Wunsch, bei «Pesco» mitzumachen, gutheisst, muss sie beide Augen verschliessen vor der Tatsache, dass bei ihrem neuen alten Partner eine Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht auf der Agenda steht. Pragmatismus also statt Prinzipien.