Heute vor fünf Jahren erschütterte ein rechtsextremistischer Terroranschlag die deutsche Stadt Hanau. Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Menschen mit Migrationshintergrund, bevor er seine Mutter und anschliessend sich selbst tötete.
Noch immer bleiben viele Fragen offen: Angehörige der Opfer kritisieren bis heute Versäumnisse der Sicherheitsbehörden – insbesondere, dass die Polizei zu spät eingegriffen habe. Strafrechtliche Konsequenzen gab es keine. Der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes hat sich intensiv mit dem Attentat und dem Verhalten der Polizei befasst.
SRF News: Welche Spuren hat der Anschlag langfristig in der deutschen Gesellschaft hinterlassen?
Thomas Feltes: Nun, der Anschlag reiht sich ein in eine Reihe anderer Ereignisse, die leider nicht vollständig aufgeklärt werden konnten.
Die Menschen haben das Gefühl, dass diese Vorfälle nicht umfassend aufgeklärt werden.
Sie hinterlassen eine Spur der Verzweiflung bei Hinterbliebenen, bei Opfern, aber vor allen Dingen in der migrantischen Community insgesamt. Die Menschen haben das Gefühl, dass diese Vorfälle nicht umfassend aufgeklärt werden.
Nach dem Anschlag wurde untersucht, ob Polizei und Behörden Fehler gemacht haben. Welche Fehler wurden gemacht?
Die konkreten Fehler wurden bei der Aufarbeitung oder auch beim Einsatz selbst gemacht. Dazu gehört unter anderem die nach wie vor ungeklärte Frage, ob die Tür in der Bar, wirklich auf Anweisung der Polizei verschlossen war oder nicht.
Da waren die Spurensicherungsmassnahmen nicht umfassend genug.
Dies spielte beim Anschlag eine grosse Rolle, da dort Menschen gefangen waren und vom Täter erschossen wurden. Da waren die Spurensicherungsmassnahmen nicht umfassend genug.
Meiner Meinung nach ist auch ungenügend aufgeklärt worden, warum die Notrufzentrale nicht erreichbar war und warum es keine Weiterleitung auf eine übergeordnete Stelle – einen sogenannten Notrufüberlauf – gab. Und letztlich für mich entscheidend, warum das Lagezentrum der Polizei im Innenministerium sich nicht früher in dieses Verfahren eingeschaltet hat.
Untersuchungsausschüsse haben generell das Problem, dass sie politisch dominiert sind.
Zu welchem Schluss kam der eingesetzte Untersuchungsausschuss?
Untersuchungsausschüsse haben generell das Problem, dass sie politisch dominiert sind und dass die ganze Arbeit immer unter dem Damoklesschwert einer politischen Verantwortlichkeit steht. Dadurch wird alles daran gesetzt, von der einen Seite möglichst die Aufklärung zu verhindern und von der anderen Seite dem politischen Gegner Schaden zuzufügen. Das ist keine gute Voraussetzung. Deshalb ist dieser Bericht in meinen Augen nicht wirklich zielführend.
Was sind die Konsequenzen, wenn ein solcher Anschlag nicht genügend aufgearbeitet wird?
Ich will nicht sagen, dass polizeiintern keine Konsequenzen gezogen worden sind. Davon gehe ich aus. Nur: Das wird nicht nach aussen hin transparent gemacht, weil man glaubt, damit Fehler einzugestehen. Und das ist in eine grundlegend falsche Einstellung.
Was letztendlich bleibt, sind die rassistischen, politischen Fehlverhaltensweisen unmittelbar nach dem Ereignis.
Die Polizei muss tatsächlich genau sagen, welche Änderungen sie aufgrund eines Ereignisses eingebracht und umgesetzt haben. Hierzu gehört unter anderem, dass eben der Notrufüberlauf organisiert worden ist. Was letztendlich aber bleibt, sind die rassistischen, politischen Fehlverhaltensweisen unmittelbar nach dem Ereignis sowie die Stellungnahmen der Politiker in diesem Kontext. Das kann man hinterher nicht mehr ausradieren, das bleibt in den Köpfen der Menschen bestehen. Daher wird sich Hanau leider wie die NSU-Attentate in eine Liste von mehreren Ereignissen einreihen, wo wir uns in Deutschland tatsächlich nicht mit Ruhm bekleckert haben.
Das Gespräch führte Marc Allemann.