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Toxische Männlichkeit Australien hat ein Problem mit seinen Männern

Frauenfeindliches Verhalten ist weit verbreitet und hat eine lange Vorgeschichte. Die Politik dient nicht als Vorbild.

19. Februar 2020: Hannah Clarke ist am Morgen mit ihren drei Kindern auf dem Weg zur Schule, als ihr Auto auf der Strasse von ihrem Ex-Partner gestoppt wird.

Der Mann giesst Benzin ins Fahrzeug und zündet es an. Die Kinder verbrennen. Der Täter nimmt sich mit einem Dolch das Leben, nachdem er zuvor Passanten hindert, seiner Familie zu helfen. Hannah Clark stirbt später im Spital.

Gewalt an Frauen ist alltäglich

Dieser Vorfall ist zwar von besonderer Brutalität – er ist aber kein Einzelfall. Jede Woche wird in Australien durchschnittlich eine Frau von ihrem Partner oder ihrem Ex ermordet. Jeden Tag landen 13 Frauen im Spital als Folge häuslicher Gewalt.

Umfragen kommen zum Schluss, dass Formen von Gewalt gegen Frauen in Australien von vielen – vorwiegend jüngeren – Männern nicht als ernsthafte Delikte gesehen werden.

Eschreckende Zahlen zur Gewalt an Frauen

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Vier von zehn jungen Australiern sehen das Schlagen, Prügeln oder Fesseln einer Partnerin nicht als Form häuslicher Gewalt.

44 Prozent von 1000 befragten Männern im Alter von 18 bis 34 sagen, eine nicht einvernehmliche sexuelle Handlung sei keine Vergewaltigung.

Zu diesem Schluss kommt eine Umfrage unter 1'000 Australiern durch die Nichtregierungsorganisation White Ribbon . Untersucht wurde die Haltung in der australischen Gesellschaft in Bezug auf die Definition von Zustimmung zu sexueller Aktivität und häuslicher Gewalt.

Der Bericht zeigt, dass in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen über 50 Prozent der Männer nicht glauben, dass ständige Telefonanrufe oder das elektronische Ausspionieren einer Person als häusliche Gewalt gelten.

Knapp 50 Prozent der Befragten glauben nicht, dass die Kontrolle der Finanzen in einem Ausmass, das eine Person von der anderen abhängig macht, häusliche Gewalt darstellt. Ältere Männer sowie Frauen identifizieren häusliche Gewalt deutlich stärker als solche.

Gewalt an Frauen weit verbreitet

Laut der Nichtregierungsorganisation Ourwatch ist Gewalt gegen Frauen in allen Gemeinschaften und Kulturen Australiens anzutreffen. Die Art, die Prävalenz und die Risikofaktoren unterscheiden sich jedoch innerhalb der einzelnen Bevölkerungsgruppen.

  • Zwei von fünf Frauen (39 Prozent) haben seit ihrem 15. Lebensjahr Gewalt erfahren.
  • Frauen erleben eher Gewalt durch eine ihnen bekannte Person als durch einen Fremden (35 Prozent gegenüber 11 Prozent).
  • Im Durchschnitt wird pro Woche eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner ermordet.
  • Im Jahr 2021/22 wurden 5606 Frauen (durchschnittlich 15 Frauen/Tag) aufgrund von familiärer und häuslicher Gewalt ins Spital eingeliefert.
  • Eine von vier Frauen (27 Prozent) hat seit ihrem 15. Lebensjahr Gewalt, emotionale Misshandlung oder wirtschaftlichen Missbrauch durch einen Lebensgefährten erlebt.
  • Eine von drei Frauen (31 Prozent) hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche Gewalt erfahren.
  • Eine von fünf Frauen (22 Prozent) hat seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle Gewalt erfahren.
  • Eine von zwei Frauen (53 Prozent) hat in ihrem Leben sexuelle Belästigung erlebt.
  • Frauen sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt, während der Schwangerschaft Gewalt durch einen Intimpartner zu erfahren.

Sind Australier brutaler als Männer in anderen Ländern? Im Gespräch mit SRF glaubt die Forscherin Pauline Grosjean «nicht, dass Australien sich bezüglich Gewalt und häuslicher Gewalt von anderen Ländern abhebt». Verbindliche wissenschaftliche, internationale Vergleiche aber gibt es dazu noch nicht.

Die besondere Vorgeschichte Australiens

Die Ökonomie-Professorin ist Expertin für sogenannt «toxische Maskulinität», jenem gesellschaftlichen Konzept, das Männer dazu drängt, Gefühle zu unterdrücken und sich dominant zu verhalten, oder sogar aggressiv.

Ihre Forschung hat ergeben, dass dieses Verhalten dort verstärkt vorkommt, wo der Anteil der Männer gegenüber den Frauen überwiegt und Männer deshalb in Konkurrenz zueinander stünden.

Wie 1788 – als Grossbritannien auf dem Kontinent eine Sträflingskolonie einrichtete. Viele Männer, kaum eine Frau. Sogar Kleinstkriminelle seien in diesem Klima zu Gewalttätern geworden, sagt Grosjean.

Zeichnung in schwarz-weiss von Gefangenen
Legende: Gefangene in Sydney im Jahr 1830. IMAGO / Gemini Collection

Das vielleicht verblüffendste Ergebnis der Forschung: toxisches Verhalten gegenüber Frauen konnte sich von damals bis heute sozusagen «weitervererben», von einer Generation zur nächsten – vom Vater auf den Sohn.

Problematisches Männerbild ist tief verankert

Sind teure Privatschulen für Buben Inkubatoren für frauenfeindliches Verhalten, wie Kritikerinnen immer wieder behaupten?

Dort würden männliche Verhaltensregeln gesetzt – Mobbing, frauenverachtende Sprache etwa, sagt Grosjean. Das spiegle sich nicht zuletzt in der Politik wider. Denn der weitaus grösste Teil der australischen Politiker ist in solchen Relikten aus kolonialen Zeiten ausgebildet worden.

Schwarz-weiss-Bild: Eine Gruppe Buben spielt Rugby; zwei Ordensschwestern spielen mit
Legende: Sportunterricht in den 1960er-Jahren an einer reinen Knabenschule (13.04.64). IMAGO / ZUMA Press/Keystone

Nicht nur haben die Grossparteien kaum Regeln, um den immer noch deutlich niedrigeren Anteil der Frauen in den Parlamenten zu erhöhen. Immer wieder kommt es in Australien zu Skandalen um Politiker und politische Mitarbeiter, die Frauen sexuell misshandelt haben sollen.

Aufsehenerregende Fälle in der Politik

Dem ehemaligen Justizminister Christian Porter wurde 2021 vorgeworfen, 1988 noch als Schüler ein Mädchen vergewaltigt zu haben. Bewiesen werden konnte dem Minister nichts. Nach Jahrzehnten schwerster Depression hatte sich die Frau kurz vor Bekanntwerden der Vorwürfe das Leben genommen.

Zwei Mädchen demonstrieren mit einem Transparent auf dem steht: «Boys will be Held Accountable for their actions»
Legende: In der australischen Gesellschaft hat sich Widerstand formiert. (Bild: Internationaler Frauentag in Sydney, 18.03.21) IMAGO / Pond5 Images

Ebenfalls 2021 beschuldigte eine frühere politische Mitarbeiterin der Konservativen ihren ehemaligen Vorgesetzten Bruce Lehrmann, sie 2019 im Parlamentsgebäude nach einer Party vergewaltigt zu haben. Mehrere konservative Politiker und Kommentatoren warfen ihr indirekt vor, an der Tat mitschuldig zu sein, weil sie zum Zeitpunkt betrunken gewesen war.

Higgins erhielt schliesslich von der konservativen Regierung eine Abfindung von über einer Million Franken. Lehrmann gilt als unschuldig.

Echo der Zeit, 23.04.2024, 18 Uhr

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