19. Februar 2020: Hannah Clarke ist am Morgen mit ihren drei Kindern auf dem Weg zur Schule, als ihr Auto auf der Strasse von ihrem Ex-Partner gestoppt wird.
Der Mann giesst Benzin ins Fahrzeug und zündet es an. Die Kinder verbrennen. Der Täter nimmt sich mit einem Dolch das Leben, nachdem er zuvor Passanten hindert, seiner Familie zu helfen. Hannah Clark stirbt später im Spital.
Gewalt an Frauen ist alltäglich
Dieser Vorfall ist zwar von besonderer Brutalität – er ist aber kein Einzelfall. Jede Woche wird in Australien durchschnittlich eine Frau von ihrem Partner oder ihrem Ex ermordet. Jeden Tag landen 13 Frauen im Spital als Folge häuslicher Gewalt.
Umfragen kommen zum Schluss, dass Formen von Gewalt gegen Frauen in Australien von vielen – vorwiegend jüngeren – Männern nicht als ernsthafte Delikte gesehen werden.
Sind Australier brutaler als Männer in anderen Ländern? Im Gespräch mit SRF glaubt die Forscherin Pauline Grosjean «nicht, dass Australien sich bezüglich Gewalt und häuslicher Gewalt von anderen Ländern abhebt». Verbindliche wissenschaftliche, internationale Vergleiche aber gibt es dazu noch nicht.
Die besondere Vorgeschichte Australiens
Die Ökonomie-Professorin ist Expertin für sogenannt «toxische Maskulinität», jenem gesellschaftlichen Konzept, das Männer dazu drängt, Gefühle zu unterdrücken und sich dominant zu verhalten, oder sogar aggressiv.
Ihre Forschung hat ergeben, dass dieses Verhalten dort verstärkt vorkommt, wo der Anteil der Männer gegenüber den Frauen überwiegt und Männer deshalb in Konkurrenz zueinander stünden.
Wie 1788 – als Grossbritannien auf dem Kontinent eine Sträflingskolonie einrichtete. Viele Männer, kaum eine Frau. Sogar Kleinstkriminelle seien in diesem Klima zu Gewalttätern geworden, sagt Grosjean.
Das vielleicht verblüffendste Ergebnis der Forschung: toxisches Verhalten gegenüber Frauen konnte sich von damals bis heute sozusagen «weitervererben», von einer Generation zur nächsten – vom Vater auf den Sohn.
Problematisches Männerbild ist tief verankert
Sind teure Privatschulen für Buben Inkubatoren für frauenfeindliches Verhalten, wie Kritikerinnen immer wieder behaupten?
Dort würden männliche Verhaltensregeln gesetzt – Mobbing, frauenverachtende Sprache etwa, sagt Grosjean. Das spiegle sich nicht zuletzt in der Politik wider. Denn der weitaus grösste Teil der australischen Politiker ist in solchen Relikten aus kolonialen Zeiten ausgebildet worden.
Nicht nur haben die Grossparteien kaum Regeln, um den immer noch deutlich niedrigeren Anteil der Frauen in den Parlamenten zu erhöhen. Immer wieder kommt es in Australien zu Skandalen um Politiker und politische Mitarbeiter, die Frauen sexuell misshandelt haben sollen.
Aufsehenerregende Fälle in der Politik
Dem ehemaligen Justizminister Christian Porter wurde 2021 vorgeworfen, 1988 noch als Schüler ein Mädchen vergewaltigt zu haben. Bewiesen werden konnte dem Minister nichts. Nach Jahrzehnten schwerster Depression hatte sich die Frau kurz vor Bekanntwerden der Vorwürfe das Leben genommen.
Ebenfalls 2021 beschuldigte eine frühere politische Mitarbeiterin der Konservativen ihren ehemaligen Vorgesetzten Bruce Lehrmann, sie 2019 im Parlamentsgebäude nach einer Party vergewaltigt zu haben. Mehrere konservative Politiker und Kommentatoren warfen ihr indirekt vor, an der Tat mitschuldig zu sein, weil sie zum Zeitpunkt betrunken gewesen war.
Higgins erhielt schliesslich von der konservativen Regierung eine Abfindung von über einer Million Franken. Lehrmann gilt als unschuldig.