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Ukraine-Gipfel Der Weg zum Frieden ist nicht frei

Am späten Vormittag lösten sich die Nebelschwaden auf dem Bürgenstock auf. Kurz danach hob sich der Schleier über dem Ukraine-Gipfel und machte eine Bewertung des grössten diplomatischen Spitzentreffens möglich, das die Schweiz jemals veranstaltet hat.

Das Bild ist durchwachsen. So negativ, wie Skeptiker bereits im Vorfeld zu wissen glaubten, ist es nicht. Und sicher positiver, als die russische Führung behauptet. Moskau versuchte nach Kräften, den Bürgenstock-Gipfel zu torpedieren. Der Kreml nimmt ihn also ernster, als er vorgibt. Auch das spricht dafür, dass er nicht bedeutungslos war.

Klare Ansage an Russland

Wichtig in der Gipfelerklärung sind weniger die Festlegungen und Forderungen in Teilpunkten, so berechtigt und nötig sie sind: Sicherheit von Atomanlagen, freier Getreideexport über das Schwarze Meer sowie Gefangenenaustausch und die Rückkehr der von Russland verschleppten ukrainischen Kinder.

Bemerkenswerter sind die klaren Gipfel-Bekenntnisse zum Völkerrecht, zur UNO-Charta, zur Souveränität und zur territorialen Integrität der Ukraine. Und die Erklärung, Drohungen mit Atomwaffen und deren Einsatz seien absolut inakzeptabel. Zahlreiche Länder des sogenannten «globalen Südens» teilen diese Anliegen. Selbst solche, die nicht zu Kiews Unterstützern zählen, vielmehr Moskau zuneigen.

Der Wermutstropfen

Der Preis für die Deutlichkeit der Gipfelerklärung ist, dass etliche Staaten sie nun nicht mittragen. Dazu gehören die in der Brics-Gruppe versammelten Schwellenländer, darunter Indien, Brasilien oder Südafrika. Auch Saudi-Arabien fehlt, das als Austragungsort des nächsten Ukraine-Gipfels gehandelt wurde. Deren Absenz schwächt die an sich starke Erklärung. Dahinter steht der Druck Chinas, das sich nun vollends auf die Seite Russlands geschlagen hat.

Der Bürgenstock-Gipfel gibt einen Rahmen vor. Er nennt Mindeststandards für Friedensverhandlungen. Es sind Standards, um die sich Moskau foutiert. Deshalb bleibt offen, wie es weitergeht. Ein weiterer Ukraine-Gipfel ist vorläufig nicht geplant. Das ist für die Schweiz enttäuschend. Doch es fehlt die Einigkeit, ob es möglich und erst recht aussichtsreich ist, einen solchen zusammen mit Russland durchzuführen.

Düsterere Aussichten für Ukraine

Falls der Krieg am Verhandlungstisch beendet wird, darf es kein Kapitulationsfriede, kein Friedensdiktat sein – das ist die Botschaft vom Bürgenstock. Die Ukraine braucht dafür internationale Rückenstärkung. Bloss sind längst nicht alle Länder dazu bereit.

Was umso irritierender ist, als die unmittelbaren Perspektiven der Ukraine düster sind: Im Schlachtfeld hat Russland derzeit die Oberhand. Ein militärischer Triumph Moskaus ist denkbar. Politisch sieht's kaum besser aus: In Europa haben Links- und vor allem Rechtaussenparteien Aufwind, die dem russischen Diktator zuneigen. In den USA sind Donald Trumps Wahlchancen gut. Er ist alles andere als ein Freund der Ukraine.

Fragwürdig ist deshalb, wenn derzeit bei der Nato, auf dem G7-Gipfel und jetzt auf dem Bürgenstock unaufhörlich beteuert wird, man stehe der Ukraine bei, «so lange wie nötig». Viel wichtiger wäre, ihr «so rasch wie nötig» und vor allem «so massiv wie nötig» zu helfen. Sonst ist es womöglich bald zu spät. Und ein diplomatischer Friedensprozess erübrigt sich.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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Echo der Zeit, 16.06.2024, 18:00 Uhr

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