Die Ukraine ist an der Kriegsfront in Bedrängnis, zugleich haben die Ukrainer ein weiteres russisches Landungsschiff versenkt. Über die Situation auf dem Kriegsschauplatz weiss die Sicherheitsexpertin Ulrike Frank Bescheid.
SRF News: Wie empfindlich trifft Russland die Versenkung des Kriegsschiffs «Cäsar Kunikow» durch ukrainische Seedrohnen?
Ulrike Franke: Das trifft Russland ziemlich empfindlich – die Ukraine ist alles andere als eine Seemacht, schafft es aber immer wieder, russische Kriegsschiffe zu beschädigen oder zu versenken. Auf die Situation auf dem Schlachtfeld hat das aber nur wenig Einfluss – und dort sieht es derzeit für die Ukraine eher schlecht aus. Besonders Awdijiwka ist seit längerem hart umkämpft.
Awdijiwka dürfte fallen – die Frage ist bloss, wann.
Wie ist dort die aktuelle Situation?
Die russischen Truppen scheinen von allen Seiten anzugreifen, während die Ukrainer mit einem Munitionsmangel zu kämpfen haben. Auch fehlen ihnen zunehmend ausgebildete Soldaten. Awdijiwka dürfte fallen – die Frage ist bloss, wann. Die Situation erinnert an Bachmut: Die Ukraine hält unter grossen eigenen Verlusten entgegen, muss die Stadt am Ende dann aber doch aufgeben.
Fehlt der Ukraine neben Munition inzwischen auch anderes Kriegsmaterial?
Die Artilleriemunition ist sicher das akut grösste Problem. Die Diskussion über Waffenlieferungen dauert ja schon länger an – und es scheint sicher, dass die Ukraine anders kämpfen würde, wenn sie beispielsweise F16-Kampfflugzeuge hätte. Aber das sind Was-wäre-wenn-Fragen.
Die Aufklärungsdrohnen auf beiden Seiten führen zu einem gläsernen Gefechtsfeld.
Die festgefahrene Situation an der Front wiederum hat vor allem damit zu tun, dass wir wegen der Aufklärungsdrohnen auf beiden Seiten quasi ein gläsernes Gefechtsfeld haben. Keine Seite kann grössere Vorstösse machen, ohne dass die andere Seite davon sofort weiss und Gegenmassnahmen ergreifen kann. Zugleich sterben in dem Stellungskrieg aber weiterhin sehr viele Menschen.
Was ist entscheidend für den Kriegsverlauf?
Wichtig ist da sicher die Frage, inwieweit der Westen – und dabei vor allem die USA – die Ukraine weiterhin mit militärischem Material unterstützen wollen und können. Gerade das im US-Kongress festhängende Milliarden-Unterstützungspaket könnte durchaus kriegsentscheidend sein. Denn es beeinflusst alles andere: Kriegsgerät, Munition und auch Moral.
Was bedeutet das Stocken der westlichen Hilfe?
Für die Ukraine ist das eine riesige Gefahr, denn sie kann sich ohne Munition und Waffen nicht gegen die russische Aggression verteidigen. Die Europäer tun zwar sehr viel, aber das betrifft vor allem zivile Unterstützung. Die militärische Hilfe kommt vor allem aus den USA – und falls sie versiegen sollte, gerät die Ukraine in riesige Probleme. Europa könnte das Ausbleiben der Waffenhilfe aus den USA wohl kaum vollständig auffangen.
Ohne westliche Unterstützung kann die Ukraine den Krieg nicht so fortführen wie in den letzten zwei Jahren.
Würde die Ukraine den Krieg in diesem Fall also verlieren?
Wenn die Unterstützung aus dem Westen vollkommen aufhört, kann sich die Ukraine sicher nicht mehr so halten wie bisher – die Russen würden die Ukraine wohl militärisch überrollen. Das heisst aber sicherlich nicht, dass die Ukraine aufhören würde zu kämpfen. Denkbar wäre dann ein Partisanenkrieg in einem besetzten Land. Das ist Spekulation, und wir hoffen nicht, dass es so kommt. Doch klar ist: Ohne westliche Unterstützung kann die Ukraine den Krieg nicht mehr so fortführen wie in den letzten zwei Jahren.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.