Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend die Separatistenregionen Luhansk und Donezk als unabhängige Volksrepubliken anerkannt und anschliessend per Dekret angeordnet, Truppen in die Ostukraine zu schicken.
SRF News: Ist das nun der Kriegsausbruch?
David Nauer: Nein, es ist nicht der Ausbruch des grossen russisch-ukrainischen Krieges. Es ist aber eine krasse Verletzung des Völkerrechts. Russland nimmt sich heraus, Grenzen zu verschieben, wie es ihm beliebt. Damit beerdigt Putin auch das Minsker Abkommen, das die Grundlage für eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts wäre.
Durch diese russische Aggression wird die Lage noch gefährlicher. Allerdings ist es auch so, dass russische Truppen bereits in den vergangenen Jahren in diesen Separatistengebieten vorhanden waren, einfach verdeckt. Jetzt ist das russische Militär offiziell da.
Welches Ziel verfolgt Wladimir Putin mit dem Schritt, Truppen in die Separatistengebiete im Osten der Ukraine zu schicken?
Offiziell spricht der Kreml von Friedenstruppen, aber das ist zynisch und verlogen, das ist meine Einschätzung. Putin hat gestern Abend eine lange und auch sehr aggressive Rede gehalten.
Putin hat der Ukraine im Prinzip die Staatlichkeit abgesprochen.
Er hat klargemacht, dass es ihm um mehr geht. Es geht ihm um die Ukraine. Er hat dem Land im Prinzip die Staatlichkeit abgesprochen. Er hat gesagt, die Ukraine existiere nur, weil Sowjetherrscher Lenin sie gegründet habe. Also indirekt meint Putin, dass es die Ukraine nur gibt, weil Russland eben so grosszügig war, sie zu gründen.
Dazu passt, dass Putin die ukrainische Regierung als westliches Marionettenregime bezeichnet, das eine antirussische Politik mache. Der Ton dieser Rede war sehr aggressiv, voller Ressentiments. Und damit ist auch klar: Die Truppen in die Separatistengebiete zu schicken, ist nur ein erster Schritt. Putin wird die Ukraine auch in Zukunft nicht in Ruhe lassen.
Werden die russischen Truppen noch tiefer in die Ukraine vordringen?
Die Gefahr eines weiteren Vordringens besteht. Putin hat explizit gestern Abend in seiner Rede gesagt, die Ukrainer müssten ihre Angriffe auf die Separatisten aufgeben.
Das kann man nur als Drohung in dem Sinn verstehen, dass die Separatisten weiter auf die Ukrainer schiessen dürfen, aber sobald sich die Ukrainer wehren, sieht sich der Kreml befugt, einzugreifen.
Sonst sei das «Regime, das die Ukraine regiert», verantwortlich für jedes weitere Blutvergiessen. Das kann man nur als Drohung in dem Sinn verstehen, dass die Separatisten weiter auf die Ukrainer schiessen dürfen, aber sobald sich die Ukrainer wehren, sieht sich der Kreml befugt, einzugreifen. Das würde ein weiteres Vordringen in die Ukraine bedeuten. Und die riesige Armee, die Putin in den letzten Monaten hat auffahren lassen, steht immer noch an der ukrainischen Grenze. Die Gefahr eines russischen Angriffs bleibt also hoch.
Für Donnerstag ist ein Treffen zwischen dem US-Aussenminister und dem Aussenminister von Russland angekündigt. Auch ein Treffen zwischen Biden und Putin steht im Raum. Was können die westlichen Kräfte noch erreichen?
Es ist unklar, ob diese Treffen überhaupt noch stattfinden werden. Es ist auch unklar, was der Westen genau tut, wie schwer die Sanktionen ausfallen.
Es wird wohl auch westliche Sanktionen oder eben Sanktionsdrohungen brauchen.
Das Ziel des Westens muss es sein, einen gross angelegten Angriff auf die Ukraine, einen grossen Krieg, zu verhindern. Dafür braucht es Gespräche - auch wenn Gespräche allein, wie wir gesehen haben - bei Putin wenig ausrichten. Es wird wohl auch westliche Sanktionen oder eben Sanktionsdrohungen brauchen. Erst, wenn der Druck wirklich gross ist, wird Putin vielleicht von weiteren Aggressionen gegen die Ukraine absehen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.