Am 24. Februar 2022 hat Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine begonnen. Tausende Menschen sind dabei schon ums Leben gekommen. Besonders geprägt wird der Krieg von Drohnen. Sie verletzen und töten Menschen. Und: Sie tönen. Markus Reisner, Militärhistoriker und Oberst im österreichischen Bundesheer, forscht zum Thema Drohnen. Das Geräusch von Drohnen kündige für Soldaten Extremsituationen an und könne deshalb Traumata auslösen.
SRF News: Was ist über Traumata, ausgelöst durch Drohnen, wissenschaftlich bekannt?
Markus Reisner: Es gibt erste wissenschaftliche Untersuchungen, welche versuchen, dieses Phänomen zu beschreiben. Wir haben schon seit Jahren Berichte aus dem Gazastreifen zu diesem Thema. Es gibt auch sehr eindrückliche Berichte aus dem letzten Konflikt in Bergkarabach. Wir wissen, dass sehr viele armenische Soldaten schwer traumatisiert sind von den von Aserbaidschan eingesetzten Drohnen.
Was löst das Drohnengeräusch bei den Soldaten aus?
Es ist so, dass Waffensysteme sich teilweise durch Geräuschkulissen ankündigen, beispielsweise eine Artilleriegranate. Diese kann man hören, wenn sie anfliegt. Dadurch hat man das Gefühl, möglicherweise einer dramatischen Situation gegenüberzustehen. Diese endet mit einer schweren Verletzung oder dem Tod.
Dieses durchdringende Geräusch, wenn die Drohne in den Sturzflug geht, bringt den Soldaten in einen extremen Stresszustand.
Bei Drohnen ist das Herausfordernde, dass man nicht weiss, wo die Drohne einschlägt. Dieses durchdringende Geräusch, welches der Motor macht, wenn die Drohne in den Sturzflug übergeht, bringt den Soldaten in einen extremen Stresszustand. Dieser hinterlässt im Körper seine Spuren.
Aus dem Ukraine-Krieg gibt es Videos, die zeigen, wie russische Soldaten sich angeblich das Leben nehmen, weil sie Drohnen kommen hören. Wie ordnen Sie solche Videos ein?
Das zeigt, wie drastisch die Situation ist. Es gibt solche Videos von beiden Seiten. Die Drohnen führen oft gar nicht zu einem unmittelbaren Tod, sondern zu schwersten Verletzungen. Der Soldat ist dann auf dem Schlachtfeld einer Situation ausgeliefert, wo er unter Schmerzen oft erst nach Stunden den Tod findet. Das Einzige, was der Soldat selbst entscheiden kann, ist die Entscheidung über Leben und Tod durch die eigene Hand. Durch das Ankündigen des Drohnengeräusches scheinen sich die Soldaten in den angesprochenen Videos so in die Enge getrieben zu fühlen, dass sie sich selbst umbringen. Dies, weil sie nicht dieser Verwundung ausgesetzt sein möchten oder einem elenden, langsamen Tod.
Durch die Technologisierung ist der Krieg eigentlich noch brutaler und schmutziger geworden.
Welche neue Dimension bringen Drohnen in Sachen Kriegsführung ins Spiel?
Es gibt keinerlei Rückzugsraum mehr auf dem Schlachtfeld. Den Soldaten bleibt in den Gefechten kaum mehr Zeit, innezuhalten und eine Situation innert Sekunden richtig zu erfassen. Eine Drohne beobachtet die Soldaten. Eine zweite Drohne wird auf die Soldaten angesetzt und zerfleischt sie. All das wird gefilmt, um später möglicherweise in Propagandamaterial verarbeitet zu werden. Wir dachten, durch die Technologisierung des Krieges werde dieser präziser und sauberer. Im Endeffekt ist der Krieg aber eigentlich noch brutaler und schmutziger geworden.
Das Gespräch führte Amir Ali.