«Wir haben in Angst gelebt. Wir wussten nicht, wann wir sterben», erzählte der Uigure Omir Bekali vor zwei Monaten im Interview mit SRF. Er war aus heiterem Himmel wegen Terrorismusverdacht verhaftet worden – und lebte fortan in einem der Lager, die Peking als «Bildungs- und Trainingszentren» beschreibt.
Von einem «wegweisenden» Ansatz zur Terrorismusbekämpfung sprach zuletzt der Gouverneur der Provinz Xinjiang. Das Ziel sei Erziehung und Rehabilitierung der Insassen. Die Behörden in Peking bezeichnen die Lager auch als «Berufsbildungszentren».
Nun gibt es sogar positive Nachrichten von der Lokalregierung der Provinz Xinjiang. In den berüchtigten Gefangenenlagern sei nun praktisch niemand mehr. Alle Insassen seien in die Gesellschaft zurückgekehrt. «Die meisten von ihnen haben ihre Kurse abgeschlossen und Arbeit gefunden», sagte ein hochrangiger Beamter.
China war im Zusammenhang mit den Uiguren nicht immer ehrlich – wie glaubhaft ist die neueste Verlautbarung? «Die Meldung muss man im Kontext verstehen», sagt Adrian Zenz. Der Sozialwissenschaftler hat verschiedentlich über die muslimische Minderheit publiziert.
Er glaubt, dass nicht alle inhaftierten Uiguren gemeint sind: «Es gibt verschiedene Härtegrade der Lager. Auch solche, in denen Folter an der Tagesordnung steht.» Für Zenz ist denkbar, dass sich die Behörden rein auf «Berufsbildungslager» bezogen.
China möchte das universelle Konzept der Menschenrechte relativieren und umdeuten.
Allerdings dürfte auch der Begriff «Arbeit» beschönigend sein, die die Entlassenen gefunden hätten. «Wir reden hier von Zwangsarbeit», sagt Zenz. Und: Für die Behörden habe eine solche «Entlassung» durchaus Vorteile. Denn die Menschen würden sich weiter in einem kontrollierten Umfeld bewegen.
Chinas Definition von Freiheit
In Fabriken etwa könnten sie fortwährend überwacht und indoktriniert werden. Zudem können gläubige Uiguren dort auch nicht ihren religiösen Pflichten und Riten nachgehen, vom Beten übers Fasten bis zum Moscheebesuch.
Schliesslich spielt ein wirtschaftliches Argument: Die Unruhe-Provinz im Westen Chinas liegt an der Neuen Seidenstrasse – Pekings Jahrhundertprojekt. «China will die Provinz zu einem Produktionszentrum für die Seidenstrasse machen.» Dafür sind aus Lagern entlassene Arbeiter offenbar mehr als willkommen.
Zuletzt thematisierte auch der UNO-Menschenrechtsrat die Situation in Xinjiang. Zwanzig meist westliche Länder – darunter auch die Schweiz – prangerten in einem Brief die Menschenrechtssituation in der Provinz an. Allerdings: 37 andere Länder stellten sich hinter China.
Das Riesenreich bemüht sich schon länger um eine andere Auslegung der Menschenrechte und feiert die «Entlassung» der Uiguren nun als Erfolg. Ein Fanal für eine Neuordnung der Menschenrechtsfrage? Das sei natürlich Chinas Ziel, sagt Zenz: «Es möchte das universelle Konzept der Menschenrechte relativieren und umdeuten.»
Dafür habe Peking bereits eine breite Koalition mit Ländern schmieden können, die selbst eine zweifelhafte Auffassung von Menschenrechten hätten. «Das ist eine sehr problematische Entwicklung. So etwas darf man nicht zulassen», schliesst Zenz. Es sei an den Vereinten Nationen, hier «direkt gegenzusteuern».