Um die Pressefreiheit steht es in Ungarn schlecht. Nur noch wenige Medien berichten kritisch über die Politik von Ministerpräsident Viktor Orban. Nun hat es auch das grösste unabhängige Medium getroffen – das Online-Portal Index. Vor zwei Wochen haben die neuen Besitzer den Chefredaktor entlassen. Die Empörung war gross – und auch die Solidarität: Fast die ganze Redaktion reichte die Kündigung ein, in Budapest kam es zu Protesten. Professor Gabor Polyak sagt, diese Entwicklung gibt es seit rund zehn Jahren.
SRF News: Ist die Entlassung des Chefredaktors Szabolcs Dull ein Angriff auf die ungarische Medienfreiheit?
Gabor Polyak: Es ist ein sehr wichtiger Punkt, aber die Geschichte begann schon viel früher, mit der Umstrukturierung der Besitzer-Strukturen im Hintergrund. Das hatte in den letzten zwei Jahren dazu geführt, dass Geschäftsleute, die der Regierungspartei sehr nahe stehen, Eigentümer von Index werden konnten. Seit 2018 war klar, dass so etwas passieren wird.
Die Regierung von Viktor Orban bestreitet, etwas mit der Entlassung zu tun zu haben. Das glauben Sie also nicht?
Das klingt schön, ein solch unpolitisches Narrativ. Aber: Im Hintergrund von Index stehen Männer, die wichtige Positionen in der politischen Entscheidung der Regierungspartei Fidesz haben. Index zu beschaffen, war eindeutig die Entscheidung des Premierministers.
Ist es denn ein weiterer Schritt in der Strategie, die Medien in Ungarn immer stärker einzuschränken?
Ja – das läuft so seit 2010 und begann mit damals neuen Mediengesetzen. Seitdem gibt es ja auch europaweit immer wieder Debatten über die ungarische Medienlage. 2016 wurde die grösste Tageszeitung eingestellt. Seitdem haben wir eine sehr grosse Medienkonzentration über eine Stiftung, die alle regierungsnahen Medien innehat.
Und nun eben der Knall bei Index – welche Rolle spielte das Online-Medium denn bisher?
Index war ein Symbol und deshalb so wichtig, weil es nicht politisch einseitig war. Auch die Leserschaft von Index war sehr vielfältig, so haben auch Fidesz-Wähler Index gelesen. Ohne Index haben wir jetzt ein grosses Vakuum, welches schwierig zu füllen ist. Index war eine der wichtigsten Informationsquellen in Ungarn, gerade auch während der Corona-Pandemie haben das die Zahlen eindeutig gezeigt: Die Leser haben Index als Ausgangspunkt für Informationen genutzt.
Wenn Index jetzt wegfällt, wo gibt es denn in Ungarn noch unabhängige und regierungskritische Informationen?
Es gibt natürlich immer noch einige, insbesondere Wochenzeitungen. Auch Online-Portale gibt es noch drei, die ich als politisch unabhängig bezeichnen würde. Doch die Besitzer dieser Medien wurden in den letzten Wochen und Monaten bereits von den Fidesz-Medien angegriffen. Der Prozess geht also weiter und man weiss nicht, welche Medien als Nächstes dran sind. Was aber viele in Westeuropa nicht wissen: Der deutsche Sender RTL sendet ein Programm in Ungarn, und neben vielen Boulevard-Themen beschäftigt sich der Sender auch mit aktueller Politik. Das ist zwar nicht regierungskritisch, aber ein normales Programm, wie man es sich im Westen vorstellt.
Der Prozess geht also weiter und man weiss nicht, welche Medien als Nächstes dran sind.
Ist das Ende von Index denn nun ein Erfolg für Viktor Orban?
Der Erfolg ist, dass es ein Medium weniger gibt mit regierungskritischen Kommentaren. Andererseits ergibt das Ende von Index nun erneut europaweite Debatten. Dabei wird Orban erklären, es seien eben rein geschäftliche Entscheidungen im Hintergrund gewesen und kein Regierungs-Entscheid.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.