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Unionsstreit in Deutschland «Das Verhalten der CSU ist schlicht verantwortungslos»

Die deutsche Regierung könnte am Streit zwischen CDU und CSU zerbrechen. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung», sagt sogar, dass nicht nur die Regierungskoalition gefährdet ist: Auch die seit Jahrzehnten bestehende Union aus CDU und CSU stehe auf dem Spiel – mit möglicherweise weitreichenden Folgen.

Heribert Prantl

«Süddeutsche Zeitung»

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Der ausgewiesene Journalist Heribert Prantl ist Mitglied der Chefredaktion der «Süddeutschen Zeitung» und leitet das Ressort «Meinungen». Vor seiner Karriere im Journalismus war Prantl Rechtsanwalt.

SRF News: Was steht im Streit zwischen der CDU und der CSU um die Abweisung von Flüchtlingen, die bereits in einem anderen Land einen Asylantrag gestellt haben, auf dem Spiel?

Heribert Prantl: Es besteht die Gefahr, dass die Union aus CDU und CSU auseinanderbricht und in Deutschland italienische Verhältnisse beginnen. Sollte es tatsächlich zum Bruch in der Union kommen, werden die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland noch problematischer als bisher. Offensichtlich finden die Parteiführer keine Möglichkeit der Mediation. Natürlich ist das Flüchtlingsproblem ein grosses Problem. Doch die Art und Weise, wie man zwischen CDU und CSU miteinander umgeht, ist so katastrophal, wie ich es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt habe.

Die CSU ist mitten im bayrischen Wahlkampf, sie könnte bei der Landtagswahl im September ihre absolute Mehrheit wegen der AfD verlieren. Ist das derzeitige Getöse der CSU deshalb nicht vor allem Wahlkampfrhetorik? Oder riskiert sie die Regierungskoalition und die Union tatsächlich?

Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt: Man redet sich derart in Rage, dass man nicht mehr zurück kann – diesen Eindruck hatte ich in den letzten Tagen. Auch setzt man Fakten, schon bloss durch die Art und Weise, wie man redet. Man hetzt die Menschen auf, man weckt Erwartungen auf das, was dann bald passiert. Man kann später nicht einfach wieder zurückkrebsen, das Ganze vergessen und sich fröhlich zusammensetzen.

Man kann sich nicht immer wieder bis aufs Blut streiten und sich kurze Zeit später wieder einigen.

Schon vor der letzten Bundestagswahl hatte sich CSU-Chef Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel bitterlich gestritten: Er warf ihr alles Mögliche vor, liess sie beim CSU-Parteitag in München wie ein Schulmädchen stehen, er warf ihr eine «Herrschaft des Unrechts» vor. Auf einmal wurde der CSU dann klar, dass man mit der CDU ja Wahlkampf machen muss – für ein halbes Jahr wurden die Angriffe auf Merkel daraufhin eingestellt. Doch jetzt kommt die Giftigkeit wieder. Man kann sich nicht immer wieder bis aufs Blut streiten und sich kurze Zeit später wieder einigen. CDU und CSU hatten schon immer ein komplexes Verhältnis. Allerdings waren die Differenzen eher im Bereich des Folkloristisch-Klamaukhaften. Politisch war man sich grundsätzlich einig. Doch diese Einigkeit ist vorbei. Deshalb ist die jetzige Situation viel ernster.

Seehofer und Söder geben sich im bayrischen Parlament die Hand.
Legende: Ihr Verhalten sei völlig verantwortungslos, sagt Prantl: Die starken Männer der CSU, Horst Seehofer und Bayerns Ministerpräsident Söder. Imago

1976 attackierte der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauss den CDU-Chef Helmut Kohl ziemlich heftig – und kündigte die Fraktionsgemeinschaft auf. Ist die derzeitige Krise der Union tatsächlich heftiger als damals?

Ja. Denn damals war die Union in der Opposition, und nicht an der Regierungsmacht. Man stritt sozusagen im Abseits. Strauss war wütend, weil er meinte, Kohl sei zu blöd, um Kanzler zu werden. Auch gab es damals eine kleine Rechtspartei, die Republikaner – was Strauss zu dem Satz verleitete, es dürfe niemand rechts der CSU politisieren.

Die CSU gefährdet die Stabilität Deutschlands und damit auch die Stabilität Europas.

Klar war 1976 Unruhe vorhanden, doch die Querelen jetzt sind gravierender. Denn jetzt führt die Union die deutsche Regierung und das in einer sehr schwierigen Zeit in Europa und der Welt. Deshalb halte ich die Weise, wie die CSU diesen Streit jetzt führt, für völlig unverantwortlich. Sie gefährdet damit die Stabilität des Regierens, jene Deutschlands und damit auch die Stabilität Europas.

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Die CSU spielt ein Hochrisiko-Spiel um mit der Stimmung gegen Flüchtlinge Stimmen zu holen. Ihr Einsatz ist die Regierungskoalition und die Union – kann die CSU aus diesem Hochrisiko-Spiel als Siegerin hervorgehen?

Das ist völlig unkalkulierbar. Normalerweise müsste man meinen, dass die Beteiligten versuchen müssten, zu einem für beide Seiten tragbaren Kompromiss zu kommen. Aber die Stimmung ist derart aufgeheizt und aufgewühlt und die Angst der CSU vor einem Abrutschen bei der Wählergunst wegen der AfD ist so gross, dass tatsächlich alles passieren kann.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

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