Contact-Tracing, das nicht richtig funktioniert, weil die zuständigen Ämter unterbesetzt sind. Junge Menschen, die zwar häufig keine starken Symptome zeigen, sich aber in immer grösseren Zahlen anstecken. Vieles von dem, was sich zurzeit in Spanien abspielt, lässt sich auch auf andere Länder übertragen – wie die Schweiz.
Und doch gibt es gewisse Faktoren, die Spanien von anderen europäischen Staaten unterscheiden. José Antonio López ist Mikrobiologe und Professor an der Universidad Autónoma in Madrid. «Eine zentrale Eigenheit Spaniens ist die hohe Arbeitslosigkeit, eine der höchsten Europas.»
Das sei bereits vor der Coronakrise so gewesen, habe sich in den letzten Monaten nun aber verschlimmert. Mittlerweile liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 15 Prozent. Und: «Dazu kommen all jene, die sich nicht offiziell als arbeitslos gemeldet haben und informelle, alternative Arbeit leisten», wie López es nennt.
Gemeinsame Nutzung eines Bettes
Wer unter prekären Bedingungen arbeite, mit einem zeitlich begrenzten oder ganz ohne Arbeitsvertrag, der könne es sich schlicht nicht leisten, bei der Arbeit zu fehlen – und lasse sich deshalb gar nicht erst testen. Und gehe auch dann arbeiten, wenn er oder sie Symptome aufweise.
Viele würden zudem in engen Unterkünften leben, manche würden sogar dieselben Betten abwechselnd nutzen, quasi im Schichtbetrieb. «Wer nicht gerade arbeitet, der schläft – und umgekehrt.»
Personen mit einem tieferen sozio-ökonomischen Status haben eine grössere Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken und das Virus weiterzuverbreiten.
Dass dies zumindest einen Teil der spanischen Corona-Statistik erklärt, belegen Zahlen aus Barcelona. Carme Borrell leitet dort jene städtische Behörde, die für die öffentliche Gesundheit zuständig ist: «Personen mit einem tieferen sozio-ökonomischen Status haben eine grössere Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken und das Virus weiterzuverbreiten», sagt Borrell.
Mit offiziell rund 29'000 Corona-Toten – manche Medien gehen sogar von rund 45'000 Toten aus – ist Spanien eines der Länder Europas, das am härtesten von der Coronakrise getroffen wurde. Wie ein Tsunami sei sie im Frühling über Spanien hereingebrochen, sagt Borrell: «Das spanische Gesundheitswesen ist zu schwach, um eine Pandemie von diesem Ausmass zu stemmen.» Die Kürzungen, die man in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise vorgenommen habe, hätten das System enorm geschwächt.
Beide Forscher – Borrell und López – zeigen sich zudem skeptisch, was den Ausstieg aus dem Alarm-Zustand angeht, ab Ende Juni: «Alles sei sehr schnell gegangen, zu schnell vielleicht, zu unüberlegt», so Borrell. Und das dürfte einen klaren Grund haben: der Tourismus. «Diese schnelle Öffnung war sicherlich mit der Hoffnung verbunden gewesen, die Sommer-Hochsaison zumindest noch halbwegs zu retten – und damit eine Branche, die für die spanische Wirtschaft enorm wichtig ist», so Mikrobiologe López.
Doch angesichts der steigenden Ansteckungszahlen ist der Tourismus in Spanien regelrecht kollabiert: In 170 Staaten gilt mittlerweile eine Quarantäne, eine Testpflicht oder sonstige Einschränkungen für Rückkehrer aus Spanien, auch in der Schweiz.
Doch auch wenn unter den spanischen Forschern eine gewisse Einigkeit herrscht, was die möglichen Ursachen für die steigenden Zahlen angeht: Sowohl Borrell wie López betonen, dass es sich letztendlich um Vermutungen handle.
Was es jetzt brauche, sei eine Diagnose. Nicht, um Schuldige zu benennen. Sondern um zu verhindern, dass sich dieselben Fehler in Zukunft wiederholen.