- Der Oberste Gerichtshof der USA hat mit einer wegweisenden Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes gekippt.
- Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen US-Staaten.
- Damit ist das aktuelle Recht auf Abtreibung in den Vereinigten Staaten nach fast einem halben Jahrhundert Geschichte.
- US-Präsident Joe Biden nannte das Urteil in einer ersten Reaktion «einen tragischen Fehler».
«Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung», heisst es in der Urteilsbegründung. Die liberalen Richter übten scharfe Kritik am Urteil der konservativen Mehrheit. Es «hat zur Folge, dass eine Frau vom Moment der Befruchtung an keine nennenswerten Rechte mehr hat», schreiben Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan in einer gemeinsam verfassten abweichende Meinung. «Der Staat kann sie zwingen, eine Schwangerschaft zu Ende zu bringen, selbst wenn dies mit hohen persönlichen und familiären Kosten verbunden ist.»
Weitgehende Einschränkungen zu erwarten
In etwa der Hälfte der Bundesstaaten dürfte es nun zu weitgehenden Einschränkungen kommen. Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet.
Abtreibungen sind aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt – heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellte bisher ein Urteil des obersten US-Gerichts von 1973 sicher, das als «Roe v. Wade» bekannt ist. Ein weiteres Urteil von 1992, «Planned Parenthood v. Casey», bestärkte die Rechtsprechung und passte sie etwas an. Der Supreme Court hat diese Entscheidungen nun gekippt.
Kritik von demokratischer Seite
US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen das liberale Abtreibungsrecht als «tragischen Fehler» bezeichnet. «Es ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs», sagte Biden in Washington. «Dies ist ein trauriger Tag», fuhr der US-Präsident in einer Ansprache kurz nach der Urteilsverkündung des Obersten Gerichtshofes fort, «traurig für das Land und für den Obersten Gerichtshof.» Das Gericht habe den US-Bürgern Rechte entzogen.
Biden kündigte an, ein Gesetz in den Kongress einzubringen, das die Supreme-Court-Entscheidung aushebeln soll. Doch dort haben die Demokraten derzeit nur eine knappe Mehrheit.
Auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama teilt Bidens Einschätzung und rief zum Widerstand auf. «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen», schrieb Obama auf Twitter.
Ex-Präsident Donald Trump lobte hingegen die Entscheidung als «Gewinn für das Leben». Die Entscheidung sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. «Es war mir eine grosse Ehre, das zu tun», so Trump. Trotz der «radikalen Linken» bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten.
Eine Reihe liberaler US-Bundesstaaten hat angekündigt, das Recht auf Abtreibungen trotz der Entscheidung schützen zu wollen. Die Gouverneurinnen und Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen. «Wir werden immer ein sicherer Hafen für jeden im ganzen Land sein, der eine Abtreibungsbehandlung benötigt. Sie haben mein Wort», so die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul.