Lily Greenberg sitzt ruhig da. Sie trägt ein blaues Sommerkleid und eine goldene Kette mit einem Davidstern. Innerlich ist die Jüdin zerrissen und sie ist wütend auf Präsident Joe Biden.
Als mächtigster Mann der Welt trage er Verantwortung und an seinen Händen klebe das Blut unschuldiger Palästinenserinnen und Palästinenser, sagt sie. Die USA übten zu wenig Druck aus auf die israelische Regierung, ein Waffenstillstandsabkommen zu akzeptieren.
Jüdische und palästinensische Verwandte
Diese deutlichen Worte mögen überraschen. Lily Greenberg wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie in den USA auf. Ein Teil ihrer Familie lebt in Israel, sie hat aber auch palästinensische Verwandte.
Biden fehlt es an Empathie für die Palästinenserinnen und Palästinenser.
Greenberg wirft Präsident Biden vor, nicht zuzuhören. Dies habe sie in ihrer Arbeit als Sonderassistentin seines Stabschefs zunehmend frustriert: «Er hört weder auf die Mehrheit der Regierungsmitglieder noch auf die Mehrheit der amerikanischen Juden. Biden fehlt es an Empathie für die Palästinenserinnen und Palästinenser, was unglaublich enttäuschend ist.»
Greenberg sagt, Biden habe nicht alle Druckmittel eingesetzt. So hatte er dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu gedroht, dieser überschreite eine rote Linie, sollte Israel die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angreifen. Es kam zwar nicht zu einem gezielten israelischen Grossangriff, aber etliche Militäroperationen in Rafah forderten zahlreiche Todesopfer.
Job nicht leichtfertig aufgegeben
Für Greenberg war das eine Invasion: «Eine Waffenlieferung wurde zwar vorübergehend gestoppt, aber die USA könnten die Lieferung von Angriffswaffen ganz einstellen.» Doch schon kurz nach dem vorübergehenden Lieferstopp schickten die USA Waffen im Wert von einer Milliarde Dollar nach Israel. «Das war für mich sehr schwer zu akzeptieren und vielleicht der letzte Auslöser zu gehen.»
Ich dachte, meine Perspektive sei besonders wichtig, weil ich Jüdin bin und sowohl israelische als auch palästinensische Liebste habe.
Den prestigeträchtigen Job als Sonderassistentin von Bidens Stabschef habe sie nicht leichtfertig aufgegeben. Sie sei sich sehr wohl bewusst, dass sie als erste in ihrer Familie eine unglaubliche Chance erhalten habe: «Ich war der Macht sehr nahe. Ich habe mich für den öffentlichen Dienst und die Regierung entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Ich dachte, meine Perspektive sei besonders wichtig, weil ich Jüdin bin und sowohl israelische als auch palästinensische Liebste habe.»
Wie es für sie beruflich weitergeht, weiss Greenberg noch nicht. Vorerst geht sie zurück nach Kalifornien, wo sie aufgewachsen ist, Politikwissenschaften studiert und als Anwaltsassistentin in einer Kanzlei für Bürgerrechte und Umweltrecht gearbeitet hat, bevor sie ins Innenministerium nach Washington wechselte.
Besonnene Stimmen wie die von Lilly Greenberg sind in diesem aufgeheizten Konflikt nicht selbstverständlich. Umso mehr versucht sie, sich Gehör zu verschaffen und die Hoffnung nicht aufzugeben.