In den USA haben die ersten Wahllokale an der Ostküste ihre Türen geöffnet. Die US-Bürgerinnen und -Bürger entscheiden heute Dienstag, ob die Vereinigten Staaten künftig durch die bisherige Vizepräsidentin Kamala Harris oder durch den ehemaligen Präsidenten Donald Trump angeführt werden sollen. Christian Lammer, Professor für USA-Politik, mit einer letzten Einschätzung kurz vor der Entscheidung.
SRF News: Herr Lammer, wer gewinnt?
Christian Lammer: Das ist schwer vorherzusagen, in den meisten Umfragen liegen die beiden gleichauf. Aber wir wissen aus früheren Präsidentschaftswahlen, dass Meinungsumfragen nicht immer stimmen. Die letzten Wahlumfragen und die Dynamik, die wir sehen, sprechen etwas mehr für die Kampagne von Kamala Harris. Deshalb würde ich sie im Moment leicht vorne sehen. Das heisst aber nicht, dass die Demokraten gewinnen.
Was meinen Sie damit, dass «die Dynamik für Kamala Harris spricht»?
Wir sehen eher Wahlkampfveranstaltungen, bei denen mehr Leute zu Harris' Veranstaltungen kommen. Die Trump-Veranstaltungen sind teilweise nur halb gefüllt. Trump selbst wirkt etwas müde, und wir hören auch, dass die Wahlkampforganisation vor Ort – also die Leute, die von Tür zu Tür gehen – bei den Demokraten deutlich besser funktioniert als bei den Republikanern.
Die Menschen müssen wieder in der Lage sein, entspannter über Politik diskutieren zu können, ohne dass jede Diskussion in Untergangsszenarien mündet.
Welche Gründe sprechen für einen Sieg von Donald Trump?
Einer der Hauptgründe, warum Trump in den Umfragen derzeit wieder gut abschneidet, liegt darin, dass er das Thema Migration auf die Agenda gesetzt hat. Ein Thema, welches von vielen US-Bürgern als Krise wahrgenommen wird. Die Trump-Kampagne war effektiv darin, dieses Thema radikal und zugespitzt darzustellen und eine Verbindung zu Kriminalität sowie zur inneren Sicherheit herzustellen. Wir können aber auch beobachten, dass seine übertriebene Rhetorik inzwischen einige Menschen abschreckt und vielen zu weit geht.
Die politische Rhetorik der beiden Kandidaten war ungewöhnlich hart. Welche Rolle spielte die Rhetorik im Wahlkampf?
Das führt zu einer weiteren Polarisierung. Wenn der politische Gegner dämonisiert wird und nur Schwarz-Weiss-Bilder gemalt werden, dann zeigt dies Wirkung. Wenn wir uns die Umfragewerte anschauen, sehen wir, dass auf beiden Seiten jeweils über 50 Prozent glauben, dass ein Sieg der anderen Seite zum Untergang des Landes führen würde. Eine Demokratie lebt aber von der politischen Auseinandersetzung und davon, dass man auch Niederlagen akzeptieren kann. In den USA scheint diese Realität völlig verloren gegangen zu sein. Die Menschen müssen wieder in der Lage sein, entspannter über Politik diskutieren zu können, ohne dass jede Diskussion in Untergangsszenarien mündet.
Die Strategie von Trump ist eindeutig: Er versucht, das System so zu stören, dass es nicht zu einer regulären Amtsübergabe kommen kann.
Die Stimmung scheint aufgeladen. Was erwartet uns, wenn das Ergebnis feststeht?
Wir müssen zunächst hoffen, dass der heutige Wahltag friedlich verläuft. Die Sicherheitsvorkehrungen in den Wahllokalen sind erheblich verstärkt worden. Überall sehen wir Polizeipräsenz, und in einigen Bundesstaaten wurde bereits die Nationalgarde mobilisiert, falls es zu Unruhen kommen sollte. Wir sehen überall Panzerglas, um die Auszählung zu sichern. Wir sehen auch, dass die Trump-Kampagne bereits mehrere Gerichtsverfahren angestossen hat, um den Wahlprozess zu delegitimieren. Die Strategie von Trump ist eindeutig: Er versucht, das System so zu stören, dass es nicht zu einer regulären Amtsübergabe kommen kann.
Aus dem Tagesgespräch mit David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi.