Selten wird einem die eigene Faulheit so drastisch vor Augen geführt wie bei Wahlen. Wochenlang liegt das Wahlmaterial auf dem Frühstückstisch. Griffbereit und unübersehbar. Bevor man sich versieht, flimmern die ersten Hochrechnungen über den Fernseher. Und leider kann man niemand anderem die Schuld geben als sich selbst.
«Besser» haben es amerikanische Wahlmuffel: Sie können mit Fug und Recht die Behörden verfluchen. Denn sie tragen zumindest eine Mitschuld daran, dass man dann doch lieber auf dem Sofa geblieben ist. In den USA muss man sich nämlich erst registrieren, um wählen zu können. Das kann Zeit, Nerven und Geld kosten.
USA kennen kein Einwohnerregister
Wie, wann, wo und womit man sich für die Wahl registrieren kann, ist von Alabama bis Wyoming unterschiedlich geregelt. «Es wird überall etwas anders gehandhabt und es sind auch jeweils andere Unterlagen notwendig», erklärt Claudia Brühwiler, Professorin für amerikanische Kultur und Politik an der Universität St. Gallen.
Die US-Regierung unternimmt den waghalsigen Versuch, das Prozedere in nur einer Minute aufzudröseln. Das Erklärvideo endet mit dem ernüchternden Hinweis, dass alle Bundesstaaten eigene Spielregeln haben. Na danke...
Aus reiner Böswilligkeit werfen die Behörden dem Wahlvolk aber keine Knüppel zwischen die Beine: Eine Registrierung ist nötig, weil die einzelnen Bundesstaaten, Countys und Gemeinden kein Einwohnerregister haben. Wer in den USA in eine andere Gemeinde oder einen anderen Bundesstaat umzieht, muss das den Behörden nicht melden. «Aktenkundig» wird man erst, wenn man zum Beispiel Steuern bezahlt.
Aufgrund des fehlenden Einwohnerregisters erhält man die Wahlunterlagen auch nicht wie bei uns automatisch per Post. Stattdessen muss man selbst aktiv werden und sich für die Wahl registrieren lassen.
Wildwuchs bei der Registrierungspflicht
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In manchen Bundesstaaten muss man sich im Vorfeld der Wahl registrieren, in anderen kann das auch noch am Wahltag erledigt werden. So läuft man nicht Gefahr, eine Frist zu verpassen.
Vielerorts wurde das Verfahren über die Jahre vereinfacht. Diverse Staaten haben auch das Internet entdeckt und erlauben eine Online-Registrierung.
In rund einem Drittel der Bundesstaaten wird man automatisch ins Wahlregister aufgenommen, wenn man einen neuen Führerschein oder Ausweis erhält.
Ausnahme North Dakota: In dem Bundesstaat an der Grenze zu Kanada reicht es, am Wahltag eine ID oder den Führerausweis vorzulegen, um zu wählen.
Eine Indiskretion, die in der Schweiz befremdlich anmutet: In 31 Bundesstaaten werden Wählerinnen und Wähler bei der Registrierung nach ihrer Parteipräferenz befragt, wobei sie sich auch als «unabhängig» registrieren lassen können.
In manchen Bundesstaaten kann nur wählen, wer einen amtlichen Ausweis mit Foto vorweisen kann. Laut der Bürgerrechtsbewegung ACLU besitzen jedoch über 16 Millionen Wahlberechtigte weder einen gültigen Führerschein, ID noch Pass. Die meisten von ihnen stammen aus ärmeren Verhältnissen und scheuen die Kosten.
Gerade Neuwählerinnen und Neuwähler müssen bürokratische Hürden überwinden. Das wissen auch die Präsidentschaftskandidaten, die auffallend gerne helfen. Auf der Website von Kamala Harris kann man Adresse, E-Mail und Telefonnummer hinterlegen, um zu erfahren, «wie man wählt».
Wer sich dort einträgt, sollte schon einmal Platz in seiner Mailbox schaffen. Denn bei ein paar nüchternen Informationen zum Wahlprozedere wird es Harris' Team nicht belassen.
Den gleichen Service bietet Donald Trump. Wer ihm seine Daten anvertraut, kann gleich noch dabei helfen, einen Wahlsieg einzufahren, der «too big to rig» ist («zu gross, um zu manipulieren»).
Umstrittene Auflagen
Die Registrierungspflicht wird mitunter scharf kritisiert: In manchen Bundesstaaten trage sie dazu bei, sozial benachteiligte Schichten von der Urne fernzuhalten. Ein Beispiel sind rigide Ausweispflichten, etwa mittels Führerschein oder ID, die gerade Schwarze weniger häufig besitzen. Einige Bundesstaaten schliessen auch verurteilte Straftäter vom Wahlrecht aus.
Das wirft die Frage auf, wie «demokratisch» das US-Wahlsystem wirklich ist. Politologin Brühwiler hält jedoch auch fest, dass sich Politik und Behörden vielerorts bemühen, Hürden abzubauen, die Menschen vom Wählen abhalten.
Die Registrierungspflicht hat ihren Anteil daran, dass die Wahlbeteiligung in den USA tiefer ist als in vielen anderen westlichen Staaten: Laut dem Pew Research Center scheiterten 2016 vier Prozent der Menschen, die eigentlich wählen wollten, an den Auflagen. Damals setzte sich Trump gegen Hillary Clinton durch.
Wie Minderheiten von der Urne ferngehalten wurden
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Im Einwanderungsland USA sei die Registrierungspflicht bereits seit dem 19. Jahrhundert ein Politikum, erklärt USA-Expertin Claudia Brühwiler. Ursprünglich wurde sie in Massachusetts eingeführt, damit neu Eingewanderte nicht ohne Bürgerrecht mitbestimmen konnten. Nach dem Bürgerkrieg (1861 bis 1865) und der Abschaffung der Sklaverei sei man in den unterlegenen Südstaaten sehr «erfindungsreich» dabei geworden, Schwarze von der politischen Teilhabe fernzuhalten. Eine Registrierungstaxe sollte ihren Geldbeutel überstrapazieren, dazu kamen schikanöse Alphabetisierungsnachweise, um Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner systematisch von der Wahl auszuschliessen. Solche Auflagen wurden in den 1960er-Jahren unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson für verfassungswidrig erklärt.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde einiges unternommen, um die Registrierung für die Wahl zu erleichtern. Bis in die 1990er-Jahre mussten US-Bürgerinnen und Bürger bei einer Regierungsbehörde vorstellig werden, um sich für die Wahl anzumelden. Mit dem «Voter Registration Act» von 1993 wurden die Bundesstaaten schliesslich verpflichtet, andere Wege der Registrierung zu ermöglichen: so etwa an Schulen und Bibliotheken oder auf dem Strassenverkehrsamt oder per Post.
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