In den Umfragen zu den US-Präsidentenwahlen zeigt sich: Bei höher Gebildeten schneidet Kamala Harris stets besser ab als Donald Trump. Welche Rolle die Bildung im Wahlkampf spielt, weiss die USA-Expertin Sarah Wagner.
SRF News: Wie wichtig ist die Bildung im aktuellen US-Wahlkampf?
Sarah Wagner: Der Faktor Bildung ist enorm wichtig – und wird immer wichtiger. Das Level des Bildungsabschlusses ist einer der zuverlässigsten Indikatoren, wie die Menschen in den USA wählen. Der Unterschied ist allerdings vor allem in der weissen Wählerschaft feststellbar: Wählende ohne College-Abschluss wenden sich verstärkt den Republikanern zu, weisse Wählende mit Abschluss eher den Demokraten.
Die Demokraten galten als jene Kraft, die sich vor allem um Belange der Arbeiterschaft kümmert.
Das ist insofern interessant, als die Demokratische Partei als jene Kraft galt, die sich vor allem um Belange der Arbeiterschaft und der Gewerkschaften kümmert. Wohingegen die Republikaner als Vertreter des Big Business gesehen wurden. Doch gewisse Entwicklungen im Kontext der Bildung haben dieses Bild in den letzten Jahrzehnten stark verändert.
Wann hat das gedreht?
Seit den 1970er-Jahren ist eine Abwanderung von Wählerinnen und Wählern ohne College-Abschluss weg von den Demokraten hin zu den Republikanern feststellbar – mit einigermassen stabilem Trend. Als Gründe werden einerseits die Enttäuschung über die Wirtschaftspolitik der Demokraten ins Feld geführt, infolge derer die Arbeitnehmer immer stärker unter Druck gerieten.
Eine Rolle spielen auch Globalisierung und die Schwächung der Gewerkschaften.
Die Lebenserwartung der weniger gut gebildeten Amerikanerinnen und Amerikaner ist gesunken, das Einkommen stagniert. Globalisierung und Schwächung der Gewerkschaften spielen dabei auch eine Rolle. Zudem gibt es auf gesellschaftlicher Ebene eine Art reaktionären Backflash in dieser Wählergruppe – als Reaktion auf Bürgerrechtsbewegung, Stärkung der Frauenrechte und die Präsidentschaft von Barack Obama.
Auf der anderen Seite ist seit etwa zehn Jahren eine Bewegung von Menschen mit College-Abschluss hin zu den Demokraten festzustellen. Entsprechend haben die Republikaner bei diesem Wählersegment etwa zehn Prozentpunkte an Stimmen eingebüsst.
Inwiefern spielt der vereinfachte Zugang zu höherer Bildung für Frauen eine Rolle?
Frauen sind ein sehr wichtiges Wählersegment, vor allem für die Demokraten. Auch im aktuellen Wahlkampf scheint sich ein grosser Gender-Gap aufzutun: Frauen wählen eher Harris, Männer eher Trump. Es ist aber auch so, dass heute viel mehr Menschen an die Uni gehen als noch vor einigen Jahrzehnten. Umso wichtiger wird diese Wählergruppe – vor allem für die Demokraten.
Versucht die Demokratische Partei, wieder vermehrt auch die «kleinen Leute» anzusprechen?
Die Balance zu halten zwischen dem linken, progressiveren Flügel und der Kernwählerschaft – Menschen ohne College-Abschluss – zu finden, ist seit Jahren Thema bei den Demokraten. Diese Frage wurde insbesondere nach der Niederlage Hillary Clintons gegen Trump 2016 intensiv diskutiert. Schliesslich gewann Trump die Wahl massgeblich durch die Unterstützung der «kleinen Leute».
Harris versucht, eine Brücke zu bauen über die gesellschaftlichen Gräben zwischen Demokraten und weissen Wählern ohne höhere Bildung.
Mit Joe Biden versuchten die Demokraten 2020 diese Entwicklung aufzuhalten – was ja teilweise auch gelungen ist. Jetzt versucht Harris, moderate und enttäuschte Wählerinnen und Wähler anzusprechen – sie prangert etwa Preissteigerung an oder outet sich als Waffenbesitzerin. Sie versucht also, eine Brücke zu bauen über die gesellschaftlichen Gräben, die sich zwischen den Demokraten und den weissen Wählern ohne höheren Bildungsabschluss aufgetan haben.
Das Gespräch führte Rachel Beroggi.