Im ersten TV-Duell mit Donald Trump wirkte US-Präsident Joe Biden fahrig und hatte Aussetzer. Er verstärkte damit Befürchtungen, sein Alter könnte ihn die Wiederwahl kosten. Nun steigt der parteiinterne Druck, ihn zu ersetzen. Doch ist das überhaupt noch möglich? Und wer könnte an seiner Stelle antreten? Der publizistische Leiter Ausland von SRF TV und ehemalige USA-Korrespondent, Thomas von Grünigen, liefert Antworten.
Könnte Joe Biden durch andere Kandidierende ersetzt werden?
Das hängt davon ab, ob Biden sich freiwillig zurückzieht oder nicht. Im Grundsatz sind die Parteidelegierten seit den Vorwahlen verpflichtet, ihn zum Kandidaten zu küren. Durch einen Rückzug könnte Biden die Delegierten von dieser Pflicht befreien. An der Parteiversammlung würde dann entschieden, wer an seine Stelle tritt. Hält Biden hingegen an der Kandidatur fest, wird es schwierig, ihn «loszuwerden»», aber ganz unmöglich ist es nicht.
Wie könnte Biden gegen seinen Willen ersetzt werden?
Die Delegierten könnten schwammige Formulierungen in den Parteiregeln nutzen, um jemand anderem ihre Stimme zu geben. Klar ist aber: Jetzt noch einen Ersatz für Biden zu suchen, wäre ein hochriskanter Vorgang. Ein vergleichbares Szenario erlebten die Demokraten 1968. Geschwächt durch eine tumultartige Parteiversammlung, verloren sie gegen den Republikaner Richard Nixon. Diese Erinnerung wiegt schwer. Die Demokraten müssen also entscheiden, was das grössere Risiko ist: eine potenziell chaotische Parteiversammlung oder «Augen zu und durch» mit Biden.
Wer könnte Biden ersetzen?
An erster Stelle muss Vizepräsidentin Kamala Harris genannt werden. Sie wäre wohl für viele Delegierte die logische Nachfolgerin. Allerdings sorgt sie in der Partei für wenig Begeisterung. Gute Chancen würden auch dem Gouverneur von Kalifornien Gavin Newsom eingeräumt. Er ist populär, könnte einigen Delegierten aber zu links sein. Häufig genannt wird zudem der Name von Gretchen Whitmer , der Gouverneurin von Michigan. Sie könnte den Demokraten in wichtigen Swing States einen Vorteil bringen.
Weshalb haben die Demokraten nicht früher reagiert?
Bidens Altersprobleme sind nicht neu. Einen Amtsinhaber in den Vorwahlen anzugreifen, wäre für die Gegenkandidaten aber hochriskant gewesen. Joe Biden hat aus Sicht der Demokraten viel erreicht in seiner ersten Amtszeit, beispielsweise die hohen Investitionen in die Infrastruktur oder die tiefe Arbeitslosigkeit. Zudem liefen viele Zwischenwahlen der letzten Monate erfolgreich für die Partei. Und Biden konnte mit einem kraftvollen Auftritt bei der Rede zur Lage der Nation im März viele Zweifler besänftigen. Nach der desolaten Debatte herrscht nun umso mehr Panik.