Biden präsentiert sich als Einzigen, der es schaffen kann, Trumps Wiederwahl zu verhindern, und den Rechtsstaat zu verteidigen. Doch in seinen eigenen Reihen mehren sich die Zweifel. Bereits hat ein demokratischer Kongressabgeordneter Biden öffentlich zum Rückzug aufgefordert. Wie wahrscheinlich und wie erfolgversprechend ein Kandidatenwechsel ist, erläutert USA-Expertin Sarah Wagner.
SRF News: Wie wahrscheinlich ist ein Kandidatenwechsel kurz vor der Wahl?
Sarah Wagner: Das ist schwer zu sagen, denn die Entwicklungen überschlagen sich momentan. Die Parteielite steht noch hinter Biden, darunter Barack Obama und Bill Clinton. Doch es gibt erste Demokraten, die ihn offen auffordern, seine Kandidatur zu beenden.
Es wird sehr schwierig sein, diesem wirklich schwachen und schlechten Eindruck entgegenzuwirken.
Über 70 Prozent der Amerikaner sind der Meinung, Biden sei geistig nicht mehr fit genug, um als Präsident tätig zu sein. Ein Kandidatenwechsel ist jedoch prozedural gesprochen nicht einfach und auch nicht automatisch erfolgversprechend.
Besteht die Möglichkeit, dass Biden sich selbst aus dem Rennen nimmt?
Das wäre die einzig wirklich produktive Möglichkeit. Sollte Joe Biden selber aus dem Rennen austreten, wäre der Weg frei für einen neuen Kandidaten oder eine neue Kandidatin. Ansonsten wird es aufgrund der Prozesse enorm schwierig für die Partei. Durch das Nominierungsverfahren sind die Delegierten an Joe Biden gebunden.
Biden sieht sich als den besten Kandidaten, um Trump zu schlagen.
Was könnte seiner Kandidatur neuen Schwung geben? Eine neue Person für das Amt des Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin?
Wenn er seine sehr treue und loyale Vizepräsidentin Kamala Harris absägen würde, würde das nicht helfen. Denn die Kritik entzündet sich ja an ihm, vor allem wegen seines Alters. Er hatte für diese Debatte eine Aufgabe: Er musste die Sorge um sein Alter entkräften. Und er hat das genaue Gegenteil getan. Die Kampagne versucht jetzt, diesen Eindruck etwas abzumildern. Man hat Joe Biden für einige Auftritte eingeplant, damit er sich mit mehr Energie präsentieren kann. Aber es wird sehr schwierig sein, diesem wirklich schwachen und schlechten Eindruck entgegenzuwirken.
Warum haben die Demokraten in den letzten vier Jahren keine valable Nachfolge aufgebaut?
Es gibt viele qualifizierte junge Politiker und Politikerinnen in der Partei, aber Biden hatte als Amtsinhaber keine grosse Konkurrenz. Zum einen hat er den Amtsinhaberbonus – mehr Ressourcen und Reichweite. Er wirkt erfahrener. Zweitens wollen die Demokraten einen langen Vorwahlprozess mit vielen Kandidaten vermeiden, um nicht zerstritten zu wirken. Drittens haben viele Nachwuchstalente den Blick auf 2028 gerichtet. Es hat immer einen Beigeschmack, den eigenen aktiven Präsidenten herauszufordern.
Biden trat einst als Übergangskandidat an, um Trump zu verhindern. Was ist passiert?
Biden hat nie klar gesagt, dass er nach einer Amtszeit zurücktreten würde. Er sieht sich als den besten Kandidaten, um Trump zu schlagen, und verweist auf die Erfolge seiner Amtszeit. Bisher sieht er keine Anzeichen dafür, dass er auf die Kandidatur verzichten sollte. Die Kampagne argumentiert, dass die schwachen 90 Minuten im TV-Duell nicht die dreieinhalb Jahre seiner Amtszeit widerspiegeln – es war eher ein Ausrutscher.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.