Demütig und hoffnungsvoll sprach Joe Biden in der ersten Rede nach seinem Rückzug als US-Präsidentschaftskandidat aus dem Oval Office im Weissen Haus. Obwohl der Druck, sich zurückzuziehen, von Tag zu Tag grösser geworden war, nahm man es Biden ab, als er sagte, es gehe nicht um ihn, sondern um Amerika, das sich entscheiden müsse, ob es vorwärts oder rückwärts gehen wolle, ob es Hoffnung oder Hass wolle, ob es Einheit oder Spaltung wolle.
Es sei ihm in den letzten Wochen klar geworden, dass er seine Partei einen müsse. Der Rettung der Demokratie dürfe nichts im Wege stehen. Das gelte auch für seine persönlichen Ambitionen, so Biden weiter. Er wolle die Flamme an eine neue Generation weitergeben und habe seine Wahl getroffen: Kamala Harris.
Harris bringt neuen Schwung in den Wahlkampf
Biden hatte Harris unmittelbar nach seiner Rückzugsankündigung den Weg geebnet und so dafür gesorgt, dass die Demokratische Partei nicht im Chaos von Rivalitäten und Machtkämpfen um mögliche Präsidentschaftskandidaturen versank.
Dass es Harris innerhalb kürzester Zeit gelang, genügend Delegierte auf ihre Seite zu ziehen, noch bevor Grabenkämpfe ausbrechen konnten, dürfte Biden nur bestärkt haben, dass seine Entscheidung richtig war.
In einer Blitzaktion, so die «New York Times», habe Harris in den ersten zehn Stunden nach Bekanntwerden von Bidens Rückzug über 100 Anrufe bei wichtigen und einflussreichen Demokratinnen und Demokraten getätigt, während Biden in den ersten zehn Tagen nach seiner desaströsen Debatte nur gerade 20 demokratische Kongressabgeordnete angerufen haben soll.
Biden als krasser Gegensatz zu Trump
Diesen Elan und die Energie von Harris hat Biden in den letzten Wochen vermissen lassen. Auch heute wirkte Biden müde, er hatte Mühe, seine kurze, vorbereitete Rede fehlerfrei vom Teleprompter abzulesen, machte viele Pausen und musste immer wieder neu beginnen. Kamala Harris hingegen löste innerhalb weniger Tage eine regelrechte Euphorie unter den demokratischen Wählerinnen und Wählern aus.
Und doch zeugt es von der Grösse Bidens, dass er nicht mit allen Mitteln versucht hat, mit einer möglichen weiteren Amtszeit an der Macht zu bleiben. Dies steht auch in krassem Gegensatz zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump, dem immer noch ein Prozess droht, weil er nach seiner Abwahl als Präsident im Jahr 2020 mutmasslich illegal versucht hat, an der Macht zu bleiben.