Ab heute befasst sich das Oberste Gericht der USA mit einem möglichen Vorwahlausschluss von Donald Trump. Im Raum steht der Vorwurf, dass sich der ehemalige Präsident im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 für die Präsidentschaft disqualifiziert hat. Die neun Richterinnen und Richter stehen vor einer Entscheidung, die auch die Geschichte der USA mitbestimmen wird. Die Verfassungsrechtlerin Kate Shaw ordnet ein.
SRF: Ist die Verhandlung über einen möglichen Wahlausschuss Trumps in Colorado historisch?
Kate Shaw: Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass dies einer der folgenreichsten Fälle ist, den der Oberste Gerichtshof in den letzten Jahren verhandelt hat. Ob ein führender Kandidat berechtigt ist, als Präsident zu kandidieren und ins Amt gewählt zu werden, oder ob ihn eine Klausel in der Verfassung wegen Aufstands disqualifiziert – diese Frage stellte sich noch nie.
Wie ist die Verfassungsbestimmung, die nun beim möglichen Ausschluss Trumps aufgrund seiner Rolle beim Sturm auf das Kapitol herangezogen wurde, im heutigen Kontext zu sehen?
Eine Mehrheit des Supreme Courts hat erklärt, dass sie sich auf eine traditionelle Auslegung der Verfassung stützt. Danach geht das Gericht der Frage nach, was die Bestimmung 1868 bedeutete. Hierzu gibt es eine Vielzahl an Stellungnahmen angesehener Historiker, die sagen, dass dieser 14. Zusatzartikel genau dafür gedacht war, jemanden wie Trump von der Präsidentschaft zu disqualifizieren.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Gericht genau das tun wird.
Wenn das Gericht seiner Auslegung treu bleiben will, muss die Antwort meiner Meinung nach lauten, dass Trump von einer weiteren Kandidatur und von einer Amtsausübung ausgeschlossen wird. Und dennoch: Ich bin mir nicht sicher, ob das Gericht genau das tun wird.
Gibt es Gründe, weshalb das Gericht der Klage gegen Trump nicht stattgeben könnte?
Man kann argumentieren, dass es irgendwie undemokratisch ist, den Obersten Gerichtshof in dieser Frage entscheiden zu lassen. Man kann der Ansicht sein, dass, wenn Trump zurückgewiesen werden soll, dass dieser Entscheid beim Volk liegen soll. Das ist sicherlich ein Argument. Das Problem mit diesem Argument ist, dass die Verfassung bereits andere Wahleinschränkungen kennt. So kann man unter anderem nicht mehr als zweimal für das Präsidentenamt kandidieren.
Trump würde einen Ausschluss aus den Vorwahlen wohl nie akzeptieren. Er würde bis zum Ende kämpfen.
Ja. Ich mache mir ständig Sorgen über ein Szenario, in dem es wieder auf den Änderungsversuch des Wahlresultats hinausläuft. Ich denke, es gibt viele Hinweise dafür, dass Trump bereit ist, aussergewöhnliche Anstrengungen zu unternehmen, um sich das Amt zu sichern. Ich glaube, es gibt echten Grund zur Sorge vor einer noch ernsteren Verfassungskrise.
Ist der amerikanische Rechtsstaat in Gefahr?
Unser Wahlsystem ist ziemlich wackelig und komplex. Das Wahlleutekollegium (Electoral College) ist eine archaische Institution mit einem gewissen Interpretationsspielraum und vielen Stellen, an denen ein ausreichend engagierter Akteur, Schwachstellen ausnutzen kann.
2024 könnten die Dinge anders verlaufen.
Wir hatten aber noch nie eine Person, die versucht hat, diese Art von Schwächen im System auszunutzen. Unsere Institutionen haben bisher standgehalten. In vielerlei Hinsicht denke ich aber, dass dies Glück und Akteuren ohne zweifelhafte Absichten zu verdanken ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Präsidentschaftswahlen 2020 so ausgegangen wären, wäre dies anders gewesen. Und ich denke, dass die Dinge 2024 anders verlaufen könnten.
Das Gespräch führte Pascal Weber.