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US-Wahlen 2024 Wovor haben die USA Angst?

Die USA sind ein Land, das lange durch gemeinsame Ziele und Werte zusammengehalten wurde: «American Way of Life», «Pursuit of Happiness» und «Land of the Free». Doch die Stimmung hat sich geändert. Die Menschen haben vor allem Angst.

Demokraten und Republikaner befürchten beidseits, dass die jeweils andere Seite das Land in eine Richtung ziehen könnte – in eine, die den eigenen Überzeugungen und Wertvorstellungen diametral widerspricht. Sie haben Angst. Doch welche? Und woher kommen sie? Eine Spurensuche.

1. Angst: Identitätsverlust

Weisse Migranten hatten Nordamerika einst den Native Americans abgerungen und daraus ein weisses Amerika gemacht. Die Weissen holten Schwarze aus Afrika, benutzten und misshandelten sie als Sklaven, welche das Land für die weisse Mehrheit aufbauten. Das ist das Fundament der USA.

Für viele «nostalgische» Weisse ist das echte Amerika weiss, auch wenn dies im öffentlichen Diskurs kaum besprochen wird. Dieses Ringen um Identität zeigt sich im Shenandoah Valley in Virginia. 60 Jahre trug dort eine Schule den Namen «Stonewall Jackson Highschool». Doch vor vier Jahren änderte der Schulvorstand den Namen, weil dieser historisch belastet war.

Denn vor 160 Jahren fand im Shenandoah Valley eine von vielen Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs statt. Die Nordstaaten wollten die Sklaverei abschaffen, während die Südstaaten an ihr festhalten wollten. Einer der berühmtesten Generäle der damaligen Südstaatenarmee war Thomas «Stonewall» Jackson.

Ehemalige Schülerinnen und Schüler kämpften vehement dafür, dass der Name des ehemaligen Südstaatengenerals wieder auf die Fassade des Schulhauses zurückkehrt – mit Erfolg. Warum ist ihnen das so wichtig? «Es ist unser Erbe. Wir haben nie etwas anderes gekannt», sagt die ehemalige Schülerin Rhonda Richard. Sie wolle nicht, dass ihr Erbe verschwindet.

2. Angst: Gewalt

«Wenn jemand in dein Haus einbrechen will, musst du die Knarre aus dem Schrank holen und die Einbrecher abknallen – es hilft dir niemand.» Diese Mentalität aus der Zeit des «Wilden Westens» ist in Teilen der US-Bevölkerung nach wie vor tief verwurzelt. Nun hat das rechte, konservative Amerika Angst, dass ihnen das linke Amerika die Waffen wegnehmen will, und bewaffnet sich immer mehr.

«Jedes Gesetz, das die individuellen, gottgegebenen Rechte von Freiheit und Eigentum verletzt, ist ein schlechtes Gesetz», sagt der Sheriff von Klickitat County im Bundesstaat Washington. Er setze solche Gesetze nicht um.

Das linke, progressive Amerika wiederum fürchtet sich weiter vor Waffengewalt an Schulen oder in Einkaufszentren und fordert Einschränkungen, so auch Gabrielle Gilbert. Sie habe keine Waffen und lebe diese Kultur nicht. «Ich strebe nach einem Glück und einer Freiheit, und ich will am Leben bleiben!», sagt die Aktivistin.

Das Thema «Waffen und Gewalt» entzweit die USA wie kaum ein anderes Land.

Historiker: «Die Leute regelten die Dinge selbst»

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Die ersten europäischen Siedler flohen nach Amerika, weil sie in ihrer Heimat verfolgt wurden. Für sie war klar: Nie wieder soll eine Regierung die Macht haben, dies zu tun.

Man habe in der Verfassung den Föderalismus verankert, der den Kommunen viel Macht und Autonomie verleiht, sagt Historiker Howard Smead von der Universität Maryland. «Die Kommunen kämpften aber gegeneinander, es gab den Vertreibungskampf gegen die Ureinwohner, während die Regierung weitgehend abwesend war. Das heisst, die Leute regelten die Dinge selbst, ohne Einmischung, schon gar nicht von einer Bundesregierung», so Historiker Smead.

3. Angst: «gottloses Amerika»

Gläubige Christinnen und Christen in den USA sehen ihre traditionellen Werte bedroht. Konservative Medien und Donald Trump schüren einen radikalen christlichen Nationalismus und die Angst vor einem «gottlosen» Amerika.

In Texas beispielsweise betreibt ein christliches Elternpaar eine christliche Academy, um seine Kinder aus Angst vor schädlichen Einflüssen der Linken zu Hause zu unterrichten. Im Gegensatz dazu steht ein schwules Paar mit Kindern aus Louisiana. Aus Angst vor negativen Folgen aufgrund strenger Anti-Gay-Gesetze ist das Paar nach New York gezogen.

4. Angst: Natur

Die USA waren schon immer ein Land, in welchem die Bevölkerung mit unbändigen Kräften der Natur zu kämpfen hatte. Die einen befürchten, dass mit dem Klimawandel Hitze, Meeresspiegel und Stürme in Teilen des Landes eine existentielle Bedrohung für die Zivilisation und Natur werden. Die anderen haben Bedenken, dass Klima- und Naturschutz ihre Chance auf ein gutes Leben bedrohen.

Beides prallt an der Küste von Louisiana aufeinander, an der sogenannten «Carbon Coast», wo Öl- und Gasindustrie sitzen und gleichzeitig die Auswirkungen des Klimawandels stark zu spüren sind. Dort, im Dorf Cameron, soll eine Flüssiggasanlage ausgebaut werden. Sie steht symbolisch für die beiden Ansichten. «Sie entlässt eine riesige Menge CO₂ und andere Stoffe in die Atmosphäre», sagt John Allaire, der ein Grundstück wenige Hundert Meter von ihr entfernt besitzt. Ja, er habe Angst, sonst würde er die Anlage nicht so sehr bekämpfen. «Die ganze Stadt war doch schon in den 90er-Jahren voller Fabriken. Ich weiss nicht, warum es etwas ändert, wenn sie jetzt hier eine Fabrik bauen», entgegnet Tressie LaBove Smith, Inhaberin eines Imbiss-Restaurants in Cameron.

5. Angst: Die Kluft

Die innere Einheit der USA droht zu zerfallen. Der «Trumpismus» und eine jahrzehntelange Medien- und Politkampagne schüren Hass auf Andersdenkende.

Das eine Zentrum der «beiden» Amerikas ist Kalifornien, Magnetpunkt demokratischer Gesellschafts­vorstellungen. Alissa McLean ist dort aufgewachsen und will nie mehr weg. «Kalifornien war Vorreiter so vieler Bürgerrechtskämpfe. Der Kampf für das Recht zu lieben, wen man lieben will, zu glauben, wie man glauben will, sich fortzupflanzen, wie man will», sagt Alissa.

Terry Gilliam lebte selbst lange in Kalifornien, bis er genug hatte und nach Florida zog, das Epizentrum der Republikaner. Für Gilliam, der eine Facebook-Gruppe namens «Leaving California» betreibt, stellt Kalifornien so etwas wie das Schreckensbild einer amerikanischen Zukunft dar. Für ihn seien jüdisch-christliche Werte aus der Bibel wichtig. «Wenn man diese Werte abschafft, wenn plötzlich alles geht, wenn man heute ein Mann sein kann und morgen eine Frau, dann gibt es keine Wahrheit mehr. Dann gibt es keine Grundlage mehr, auf der man dieses Land aufbauen kann.»

US-Wahlen 2024

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Legende: SRF

Donald Trump kehrt als 47. Präsident ins Weisse Haus zurück. Alle News und Hintergründe dazu finden Sie hier: US-Wahlen 2024 .

Rendez-vous, 28.10.2024, 12:30 Uhr, srf/schn;kobt

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