Erstmals seit der Ächtung der Streubomben 2010 kündigt ein Land die Verbotsvereinbarung. «Wir müssen der Bedrohung an der Ostgrenze mehr Beachtung schenken», sagt Litauens Präsident Gitanas Nauseda.
Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas wiederum hält es für falsch, von vornherein auf eine Waffengattung zu verzichten, die zur Selbstverteidigung unentbehrlich werden könne.
Entsprechend beschlossen die Regierung und Parlament, dem internationalen Streubombenverbot den Rücken zu kehren. Als Nächstes wird UNO-Generalsekretär Antonio Guterres als Depositar des Abkommens formell über den Austritt unterrichtet.
Litauens Entscheidung ist enttäuschend, ja beschämend.
Litauen ist ein kleines Land. «Doch es könnte nun zum Präzedenzfall werden», fürchtet Kasia Derlicka-Rosenbauer, Vizedirektorin der internationalen Koalition gegen Streubomben und Landminen mit Sitz in Genf: «Die Entscheidung ist enttäuschend, ja beschämend.»
Grossmächte sowieso nicht mit dabei
Der Austritt dürfte zudem die Hoffnung dämpfen, es würden sich – wie in früheren Jahren – immer mehr Staaten dem Abkommen anschliessen. Die Grossmächte USA, China und Russland denken nicht mal daran.
Auch Nato-Mitglieder, die bisher ebenfalls dem Streubombenverbot fernblieben, wie Estland, Lettland, Finnland, Polen, Rumänien oder die Türkei, erwägen angesichts der enormen Spannungen mit Russland keinen Beitritt.
Die Nato hat keine Haltung zu Streubomben, weil sich da die Mitglieder uneinig sind.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hält denn auch nüchtern fest: «Die Allianz hat keine Haltung zu Streubomben, weil sich da die Mitglieder uneinig sind.» Diese Ambivalenz zeigt sich auch beim Krieg in der Ukraine.
«Wir zögerten lange, der Ukraine Streubomben zu liefern», erklärte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. Doch am Ende entschied man sich 2023 doch dafür, da Russland bei seinen Attacken gegen die Ukraine Streubomben einsetzt. Kiew hingegen, so Sullivan, nutze diese nur zur Selbstverteidigung und dazu auf seinem eigenen Territorium.
Kritik an den USA wegen Lieferung an die Ukraine
Dennoch wird die US-Entscheidung scharf kritisiert. Sie könnte einen Dammbruch ausgelöst haben, der nun mit Litauens Rückzug vom Verbot weitergeht, heisst es bei der Anti-Streubombenkoalition. Die Lieferung und der Einsatz von Streubomben verletzten internationales Recht.
Zivilisten machen mehr als 90 Prozent der Toten bei Streubombeneinsätzen aus. Oft fallen noch Jahrzehnte später vor allem spielende Kinder nachträglich detonierenden Blindgängern zum Opfer.
Schwerer Stand für Rüstungskontroll-Abkommen
Das Streubombenverbot ist bloss ein Beispiel für die Erosion von Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen aller Art. Auch das von 164 Staaten ratifizierte Landminenverbot wird wieder zunehmend verletzt. In mehreren Konflikten – im Ukraine-Krieg, aber auch in Myanmar, Kolumbien oder Syrien – werden weiterhin Antipersonenminen verwendet.
Dem UNO-Atombombenverbotsvertrag trat bis heute kein einziges Land bei, das tatsächlich Nuklearwaffen besitzt. Der Glaube an die Solidität des Chemiewaffenverbots wurde im Syrienkrieg und nach russischen oder nordkoreanischen C-Waffeneinsätzen erschüttert. Und das Verbot biologischer Waffen gilt als löchrig. Die internationalen Normen wirken auf einmal nicht robust genug.
Und neue, erfolgversprechende Abrüstungsverhandlungen laufen derzeit keine. Stattdessen werden bestehende Vereinbarungen missachtet, laufen aus oder werden gekündigt.