Yun Sun sieht die Beziehungen zwischen China und Russland als Partnerschaft. «Sie haben denselben Feind und teilen dieselbe Sicherheitsbedrohung. Das ist die Grundlage ihrer gemeinsamen Ausrichtung», sagt die Direktorin des China-Programms des Stimson Centers, einer unabhängigen US-Denkfabrik.
Das gemeinsame Feindbild ist der Westen, insbesondere die USA. Dazu kommt die persönliche Beziehung zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping, die über eine reine Zweckgemeinschaft hinauszugehen scheint. Denn Xi bewundere die russische Kultur, so Yun Sun.
Sie nennt es den «Russland-Komplex», der bei Leuten seiner Generation ziemlich häufig sei: «Als Xi in den frühen 1950er-Jahren geboren wurde, wurde in China das sowjetische Modell als überlegen angesehen – wirtschaftlich, politisch und ideologisch.»
Ich nenne es den Russland-Komplex, der bei Leuten der Generation von Xi ziemlich häufig vorkommt.
Parallelen gibt es aber auch bei den politischen Systemen der beiden Staaten, wie der chinesische Politologe Wu Qiang in Peking erklärt: «Beide eint ein autoritäres System, das voller Skepsis ist gegenüber demokratischen Gesellschaften, ja diese ablehnt.» In der Innenpolitik stemmten sich beide Regierungen gegen Demokratisierungsprozesse und wollen verhindern, dass die Gesellschaft ihre Macht herausfordert.
Beide eint ein autoritäres System, das voller Skepsis ist gegenüber demokratischen Gesellschaften, ja diese ablehnt.
Andere Strategie im Kampf gegen den Westen
Auch international sind die Ziele ähnlich. Beide Staaten wollen ihre autoritären Werte etablieren und sich nicht länger den universellen Werten des Westens unterordnen.
Laut Yun Sun gehen Peking und Moskau dabei aber fundamental unterschiedlich vor: «Beide wollen die internationale Ordnung zwar ändern und sind revisionistisch. China will das eher mit einer graduellen Reform erreichen, während Russland einen viel stärkeren Willen zeigt, diese Ordnung zu zerstören.»
China braucht Stabilität – Russland will das Gegenteil
Denn China hat von dieser internationalen Ordnung dank der Stabilität und des Freihandels massiv profitiert. «Chinas Aufnahme in die Welthandelsorganisation machte das chinesische Wirtschaftswunder erst möglich. Die zweistelligen Wachstumsraten in den Nullerjahren wurden durch Integration Chinas in die Weltwirtschaft ermöglicht, nicht durch die Ausgrenzung. Es gibt vieles, das China beibehalten möchte», so Yun Sun.
Russland dagegen sei eine destruktive Macht. Eine Macht, die eine Strategie des Chaos verfolge: Russland bevorzuge Instabilität und ziehe daraus seine Stärke und seine Vorteile. China dagegen bevorzuge Stabilität. Denn das brauche China, sei es für wirtschaftlichen Zwang oder für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Ländern.
Russland bevorzugt Instabilität, daraus zieht es seine Stärke und seine Vorteile.
So nutzt Peking die Aggressivität der Russen
Doch die destruktive Macht Russlands könne für China durchaus auch von Nutzen sein, so die Politologin. Etwa zur Ablenkung der USA, deren Unterstützung von Taiwan der chinesischen Regierung ohnehin ein Dorn im Auge ist: «Die Anwendung von Gewalt ist nicht Chinas Stärke, denn es hat nicht das stärkste Militär. Die traditionelle chinesische Kriegskunst lautet ‹kampflos gewinnen›.»
Die Anwendung von Gewalt ist nicht Chinas Stärke, denn es hat nicht das stärkste Militär. Die traditionelle chinesische Kriegskunst lautet ‹kampflos gewinnen›.
Und so kritisiert die chinesische Führung den russischen Angriff auf die Ukraine nicht und unterstützt ihn auch nicht. Staats- und Parteimedien geben der Nato und den USA die Schuld am Konflikt. Peking verfolgt einen – wie sie es nennt – «neutralen Kurs» und behält diesen bei, auch wenn der internationale Druck wächst. Damit hält sich Chinas Regierung eine gewisse Flexibilität offen. Oder wie Yun Sun es ausdrückt: «Am Ende stellt sich China immer auf die Seite Chinas.»