China hat sich als Vermittler zwischen Moskau und Kiew im Ukraine-Krieg angeboten. Der chinesische Aussenminister Wang Yi sagte am Montag anlässlich der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses, dass Peking bereit sei, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um die notwendige Vermittlung zu gewährleisten. SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi ordnet ein.
SRF News: Bislang hat China im Ukraine-Krieg keine klare Position bezogen. Warum will das Land nun vermitteln?
Martin Aldrovandi: Damit hofft die chinesische Regierung wohl, sich positiver darstellen zu können. Es gab ja Kritik, vor allem aus dem Westen, dass Chinas Regierung Putin unterstützen würde. Die chinesische Regierung spricht nach wie vor nicht von einer Invasion.
In den chinesischen Staatsmedien wird sowieso der Westen für den Konflikt verantwortlich gemacht.
Und gleichzeitig pflegt sie auch die Beziehungen zur Ukraine und spricht sich ja seit jeher gegen die Einmischung in andere Staaten ein. Mit dem Angebot, eine konstruktive Vermittlerrolle spielen zu wollen, kann sich die chinesische Regierung als Teil der Lösung darstellen. Sie versucht es zumindest, auch im Inland. Hier wird in den Staatsmedien sowieso vor allem der Westen für diesen Konflikt verantwortlich gemacht, vor allem die USA und die Nato seien daran schuld.
Der chinesische Aussenminister betonte bei seiner Rede, die Freundschaft zu Russland sei felsenfest. Kann China so eine neutrale Position beziehen?
Das ist eine wichtige Frage, weil auch die strategische Partnerschaft zwischen China und Russland nach wie vor gilt. China wird Russland auch nicht vor den Kopf stossen wollen oder gar fallen lassen. Die beiden eint die Ablehnung gegenüber dem Westen, gegenüber den USA, die Frustration. Sie entstand nach dem Kalten Krieg, mit dieser Weltordnung, bei der der Westen – die USA – das Sagen haben.
Die beiden Staaten arbeiten auch in internationalen Organisationen oft zusammen, zum Beispiel in der UNO. Insofern ist es für den Westen etwas schwierig, China eine neutrale Position abzunehmen. Für das inländische Publikum in China dürfte es funktionieren. Die Medien in China berichten im Sinne der Staats- und Parteiführung.
China hat kein Interesse, Russland fallen zu lassen.
Wenn China eine Vermittlerrolle einnimmt, besteht nicht die Gefahr, dass diese Freundschaft zu Russland gefährdet wird?
Wahrscheinlich eher nicht. Die Medien in China zelebrieren diese Freundschaft zwischen den Staats- und Regierungschefs. China hat wie erwähnt kein Interesse, Russland fallen zu lassen. Aber das heisst nicht, dass die chinesische Regierung mit dem Verhalten der russischen Regierung aktuell zufrieden ist – das ist wichtig festzuhalten.
Es wird immer noch spekuliert, wie viel Xi Jinping über den geplanten Angriff wusste. Man weiss nicht, wie genau ihn die Russen informiert hatten, zum Beispiel, als sie zu Beginn der Olympischen Spiele eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet haben. Da gibt es viele Unklarheiten. Deswegen versucht sich China herauszuhalten und hat bisher auch keine richtige Partei ergriffen.
Was denken Sie, wie realistisch ist es, dass China diese Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg einnehmen wird?
Ich werde mich hüten, etwas vorherzusagen. Das hängt von ganz vielen Faktoren ab, die wir noch nicht kennen. Es hängt nicht zuletzt davon ab, ob die ukrainische Seite China als Vermittler akzeptieren kann und auch davon, wie stark Putin überhaupt noch auf Chinas Regierung hört.
Das Gespräch führte Raphael Günther.