Die Wahlen in Ostdeutschland sind das neueste Beispiel in einer ganzen Reihe: Auf fast jede Wahl in Europa folgt grosse Verunsicherung und ein langer Verhandlungspoker, um halbwegs tragfähige Koalitionen zu finden. Europas Demokratien sind so instabil wie nie in der jüngeren Geschichte.
Die grossen Volksparteien schwächeln in vielen Ländern. Deshalb gibt es nach Wahlen meist keine klaren Mehrheiten mehr. Oft lässt sich eine Regierung nur noch gemeinsam mit Parteien vom rechten oder linken Rand bilden. Dieses Problem hat aktuell beispielsweise auch Emmanuel Macron in Frankreich. Spanien, die Niederlande – oder ausserhalb Europas Israel – überall ein ähnlich instabiles Bild.
Radikale Kräfte frohlocken, denn sie erhalten dadurch einen überhöhten Einfluss und viel Aufmerksamkeit. Und die zusammengeschusterten Koalitionsregierungen stehen permanent am Abgrund, so wie die Ampel in Deutschland. Zukunftsweisende Lösungen sind von solch wackeligen Regierungen kaum zu erwarten.
Stabilität dank Zauberformel
Ganz anders die Lage in der Schweiz. Zwar schwächeln auch hier seit Jahren viele traditionelle Volksparteien. Die Stimmenverhältnisse sind gar nicht so anders als in manchen anderen europäischen Ländern. Und doch herrscht hierzulande nach Wahlen nicht die grosse Ratlosigkeit. Die Stabilität der Schweizer Demokratie sucht weltweit ihresgleichen.
Das einzigartige Schweizer System dürfte hauptverantwortlich sein für diese Stabilität. Die Schweizer Zauberformel stellt sicher, dass die populärsten politischen Strömungen stets in der Regierung vertreten sind. Verhandlungsspielraum besteht nach Wahlen höchstens in Bezug auf ein, zwei Sitze in der Regierung – wenn überhaupt.
Eigentlich erstaunlich, dass man sich in Europa nicht genauer mit dem Schweizer Polit-System befasst. Es scheint für eine zersplitterte Parteienlandschaft besser gewappnet zu sein als die meisten anderen demokratischen Systeme. Die Zauberformel in Kombination mit Referendum und Initiative, das scheint eine gute Mischung für Stabilität und Wohlstand.
Einzelperson versus Siebener-Gremium
Die Schweiz als Vorbild? In den meisten Ländern dürfte dies spontan nur Kopfschütteln auslösen. Das französische Präsidialsystem oder die Kanzler-Rolle in Deutschland sind Teil der DNA dieser Länder. Ein Umbau dieser Systeme wird denn bisher auch kaum diskutiert.
Sollten in der aktuellen Krise der Demokratie aber nicht auch Tabus angesprochen werden? Macht es zum Beispiel immer noch Sinn, die Hauptverantwortung einem einzelnen Regierungsoberhaupt anzuvertrauen – welches man abstraft, wenn es nicht läuft?
Das Siebener-Gremium in der Schweiz scheint langfristig grosse Vorteile zu haben. Vielleicht wäre es in der Tat an der Zeit, Europas Polit-Systeme und ihre Rolle bei der aktuellen Instabilität genauer anzuschauen.