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Österreichs braune Vergangenheit: Lieber wegschauen, als hinsehen
Aus Echo der Zeit vom 26.09.2024. Bild: KEYSTONE/APA/GEORG HOCHMUTH
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Vor Wahlen im Nachbarland Nazi-Vergangenheit: Warum in Österreich viele lieber wegschauen

Österreichs düstere Nazi-Vergangenheit sorgt vor den Wahlen für Diskussionen. Der Schriftsteller Martin Pollack hat sich eingehend damit auseinandergesetzt und erklärt, weshalb noch heute viele lieber wegschauen.

Der Titel eines Buchs von Martin Pollack heisst «Kontaminierte Landschaften». Was er damit meint, kann der österreichische Autor anschaulich erklären. Pollack fand eines Tages in seinen Gemüsebeeten eine Gabel. «Ich habe sie geputzt, und sie war rostfrei. Toller Stahl mit einem Stempel der Waffen-SS», erklärt der Schriftsteller.

Pollack ist dieses Jahr 80 Jahre alt geworden, aber noch heute fassungslos. «Es war für mich erschütternd, dass ich in meinem geliebten Gemüsegarten eine Gabel der SS finde.»

Es war die Absicht der Nazis, dass diese Leute sozusagen komplett verschwinden sollen.
Autor: Martin Pollack Österreichischer Schriftsteller

Kontaminierte Landschaften, so Pollack, seien für ihn Landschaften, die etwas verbergen. Oft verbergen sie namenlose Massengräber. In Polen, der Ukraine, Belarus, Tschechien, der Slowakei und in Österreich gab es während des Zweiten Weltkriegs immer wieder Massenexekutionen.

Die Toten wurden verscharrt. «Ohne Stein, ohne Tafel. Niemand sollte sich an sie erinnern», sagt Pollack. «Es war die Absicht der Nazis, dass diese Leute sozusagen komplett verschwinden sollen.»

Auf den Spuren von Vaters Verbrechen

Besonders gut im Vergessen sei Österreich, kritisiert Pollack – bis heute. Denn die Sieger des Zweiten Weltkriegs sprachen Österreich pauschal frei und nannten es «das erste Opfer Hitlers». Also gab es wenig Grund, der Vergangenheit auf den Grund zu gehen.

Doch auf kontaminierte Landschaften folgen kontaminierte Seelen. Pollack schildert ein Beispiel: Wer in seiner Heimat im Südburgenland einen älteren Mann frage, wie es ihm gehe, erhalte oft die Antwort: «Alles in deutscher Hand.» Das heisse nicht, dass die Person ein Nazi sei. Aber sie denke nicht darüber nach und habe die Redewendung verinnerlicht.

Martin Pollack sitzt in seiner Bibliothek.
Legende: Schriftsteller und Osteuropa-Kenner Martin Pollack hat sich mit Österreichs Vergangenheit auseinandergesetzt und sich mit seiner Familiengeschichte konfrontiert. Keystone / APA / GEORG HOCHMUTH

Pollack hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Verbrechen seines Vaters – eines hohen SS-Offiziers und Gestapo-Beamten – akribisch zu rekonstruieren. Wie war es möglich, dass der Vater, ein promovierter Jurist, bewusst zum Mörder geworden ist?

Und nicht nur er, sagt Pollack: «Ich komme aus einer totalen Nazi-Familie. Da waren alle Nazis.» Auch sein Stiefvater, der in Linz in dieselbe Schule ging wie Adolf Hitler.

Parallelen zur Gegenwart

Pollack hat keine befriedigende Antwort darauf, warum alle in seiner Familie Nazis waren. Doch die Erklärungsversuche reichen weit zurück. Seine Familie stammte ursprünglich aus der Untersteiermark im Grenzgebiet zu Slowenien.

Grenzlanddeutsche seien immer anfällig gewesen für nationalistische Bestrebungen, glaubt der Schriftsteller. «Sie waren in der Minderheit und quasi bereits im 19. Jahrhundert Nazis. Sie hatten etwas Grossdeutsches, Antiösterreichisches an sich, obwohl sie Österreicher waren, und waren antisemitisch, antislawisch. Alle diese Anti-Bewegungen, die wir auch heute vorfinden.»

Ich glaube nicht, dass Herbert Kickl ein Nazi ist. Er ist ein Populist.
Autor: Martin Pollack Österreichischer Schriftsteller

Was hält Martin Pollack von Herbert Kickl, dem Chef der rechtspopulistischen FPÖ, die in allen Umfragen vor der Parlamentswahl in Österreich an der Spitze liegt?

«Ich glaube nicht, dass Herbert Kickl ein Nazi ist. Ich kenne ihn nicht persönlich. Er ist ein Populist», antwortet Pollack. Ein Populist, der bewusst mit Andeutungen an den Slang des Dritten Reiches spiele. Das werde in Österreich mehr als anderswo toleriert, weil die Landschaft noch immer kontaminiert sei.

Echo der Zeit, 26.09.2024, 18:00 Uhr

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