FPÖ-Chef Herbert Kickl ist bereit für die Nationalratswahl vom 29. September in Österreich. Laut Umfragen wird die FPÖ erstmals stärkste Fraktion werden; sie liegt mit 27–29 Prozent bei allen Umfragen an der Spitze.
Doch: «Die FPÖ hat, Stand jetzt, überhaupt keine Koalitionschancen. Alle anderen Parteien haben eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen. Es stellt sich die Frage, ob das nach der Wahl noch gilt», sagt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Und tatsächlich: Die österreichische Politik ist geschmeidig. Inhaltlich wäre eine Koalition zwischen der Volkspartei von Kanzler Nehammer und den Freiheitlichen sehr einfach möglich.
«Bei sogenannten Wahlhilfen im Internet, bei denen Themenfragen gestellt werden, ist die Übereinstimmung zwischen FPÖ und ÖVP generell um die 80 Prozent.» Doch es gibt Ressentiments auf beiden Seiten, seit Kickl 2019 auf Betreiben des damaligen ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz als Innenminister entlassen wurde. Es war ein beispielloser Vorgang für Österreich.
Haider trat nicht in die Regierung ein
Eine Lösung wäre, dass Kickl wie Geert Wilders in den Niederlanden auf das Amt des Regierungschefs verzichten würde. Das gab es schon mal in Österreich: Im Jahr 2000 ging die zweitplatzierte FPÖ eine Koalition mit der drittplatzierten ÖVP ein und überliess dieser gar das Kanzleramt. Der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider trat nicht in die Regierung ein, um sie überhaupt zu ermöglichen.
Das sei 2024 keine Option, weiss Politikberater Thomas Hofer. «Das, glaube ich, sieht Herbert Kickl retrospektiv als grossen Fehler. Er wird diesen Fehler nicht wiederholen.»
Eine Alternative wäre eine Dreierkoalition von ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und, wenn nötig, den liberalen Neos. Für die Experten Hofer und Filzmaier ist dies das wahrscheinlichste Szenario und vielleicht sogar das Kalkül von Herbert Kickl. «Ich glaube, dass er es nicht unbedingt im Jahr 2024 auf die Kanzlerschaft angelegt hat», vermutet Politikberater Thomas Hofer. «Er würde darauf vertrauen, dass es diese Koalition nicht zu lange gibt, vielleicht anderthalb oder zwei Jahre.»
Die Stunde des Herbert Kickl würde dann bei übernächsten Wahlen schlagen, «um dann ein Faktor zu sein, den man nicht mehr umgehen kann.»
Die Regierungsbildung wird sich hinziehen
Doch auch die Ergebnisse der anderen Parteien haben einen Einfluss auf die Regierungsbildung: Falls die SPÖ sehr schlecht abschneidet, hat die ÖVP keinen Verhandlungspartner, weil der ungeliebte SPÖ-Chef Andreas Babler von den eigenen Leuten abgesägt würde. Kommt die ÖVP nur auf den dritten Platz, könnte eine neue ÖVP-Führung von der FPÖ mit vielen Privilegien in eine Regierungskoalition gelockt werden.
Klar ist nur: Die Regierungsbildung wird sich bis Weihnachten oder sogar ins neue Jahr hinziehen. Denn Ende November findet die Landtagswahl in der Steiermark statt, der Wahlkampf wird nahtlos weitergehen, prophezeit Politikwissenschafter Filzmaier. «Egal, wie die Wahl ausgeht, egal, welche Regierung nachher gebildet wird, wir werden viele Demonstrationen erleben. Einerseits gegen eine Regierung mit Herbert Kickl. Und wenn er nicht in die Regierung kommt, womöglich trotz eines ersten Platzes in der Wahl, dann entsteht zunehmend der Eindruck in seinen Auftritten, er plane eine Fortsetzung seiner Wahlkampagne, notfalls für die nächsten fünf Jahre. Das inkludiert noch mehr lautstarke Proteste auf den Strassen.»