Sofortige Friedensverhandlungen. Keine neuen Waffenlieferungen. Über 600'000 Personen in Deutschland haben das «Manifest für den Frieden» mit diesen Forderungen unterzeichnet. Initiiert von Deutschlands einflussreichsten Feministin Alice Schwarzer, Publizistin, Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift «Emma» und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.
SRF News: Alice Schwarzer, ist es für Sie legitim, dass sich die Ukraine mit Waffen wehrt?
Alice Schwarzer: Absolut. Und ich könnte mir auch vorstellen, obwohl ich das sehr problematisch finde, dass ich zu denen gehören würde, die immer mehr Waffen wünschen. Ich finde es absolut legitim, wenn man mit Waffen angegriffen wird, sich auch mit Waffen zu wehren.
Inzwischen sagen weltweit wissenschaftliche und militärische Experten, dass man ganz kurz vor dem grossen Knall ist.
Sie sagen, das Manifest vertrete die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands. Wie meinen Sie das?
Das ist die Aussage aller aktueller Umfragen: Die jüngste von Forsa besagt, dass 56 Prozent gegen neue Waffenlieferungen sind und nur 31 dafür. Es geht nicht mehr um die Frage, hat man das Recht, sich zu wehren, diese hat sich am Anfang gestellt. Inzwischen haben wir ein Jahr Krieg, und wir sehen, die beiden Grossmächte sind in einer Pattsituation. Militärisch ist Gleichstand, es wird nur immer schlimmer. Darum geht es in unserem Manifest.
Sie fürchten bei neuen Waffenlieferungen einen Atomschlag?
Selbstverständlich fürchte ich einen Atomschlag. Inzwischen sagen weltweit wissenschaftliche und militärische Experten, dass man ganz kurz vor dem grossen Knall ist, noch kürzer als während der Kuba-Krise, und dass sogar ein Irrtum, ein Versehen genügen würde, den weltweiten Atomkrieg auszulösen.
Die Situation ist eine andere. Russland ist von China abhängig und China hat sich sehr dezidiert gegen den Einsatz von Atomwaffen ausgesprochen. Ein Bruch mit China könnte sich Russland nicht leisten.
Das hoffen wir. Das ist ein Poker. Aber dabei geht es nicht um 1000 Dollar, dabei geht es um die ganze Welt. Mein Verstand sagt mir, dass dieser drohende Preis zu hoch ist für alle Beteiligten.
Ein Argument für die Waffenlieferungen ist für Bundeskanzler Olaf Scholz, dass sich die Chancen für einen Frieden erhöhen, je eher Putin einsieht, dass er sein Ziel nicht erreicht …
Wir müssen uns fragen, was ist das Ziel des Krieges. Das ist ja ziemlich nebulös. Das realistische Ziel ist die Befreiung der Ukraine. Aber es scheint doch längst um etwas anderes zu gehen. Jetzt ist von der maximalen Schwächung Russlands die Rede.
Dieser Krieg ist ein verbrecherischer Krieg und muss mit allen Mitteln bekämpft werden.
Schauen wir auch das Ziel Russlands an: Dass Putin auch andere Staaten wie Belarus kontrollieren will, oder gar weitere Staaten angreifen könnte …
Eine Schlacht hat der Westen auf jeden Fall gewonnen. Die Schlacht der Publicity. Ich bin nicht allein mit der Ansicht, dass die Sicherheitsgarantien für Russland der Ausschlag für den Krieg sind. Russland wurde nach der Wiedervereinigung Deutschlands garantiert, dass die Nato nicht weiter an sie heranrückt. Das Gegenteil ist geschehen. Ich halte die Sicherheit Russlands für das Hauptmotiv Putins.
Sie glauben, dass sich Russland bedrängt gefühlt hat und das rechtfertigt einen solchen Angriffskrieg gegen die Ukraine?
Nein, das rechtfertigt überhaupt keinen Krieg. Das erklärt die Motive. Dieser Krieg ist ein verbrecherischer Krieg und muss – das haben wir ein ganzes Jahr lang getan – mit allen Mitteln bekämpft werden. Doch jetzt geht es um einen drohenden Atomkrieg und da muss man sich fragen, was kann man tun, um diesen abzuwenden? Wenn wir Russland in die Enge treiben, steigt die Gefahr für die ganze Welt.
Das Gespräch führte Karoline Arn.