Nach ihrem Bruch mit der deutschen Linken hat Sahra Wagenknecht eine neue Partei gegründet: Das nach ihr benannte «Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit» (BSW) werde im Frühsommer erstmals an der Europawahl teilnehmen, sagte die 54-jährige Bundestagsabgeordnete in Berlin. Im Herbst soll die Partei dann auch bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland antreten. Simone Fatzer, Deutschland-Korrespondentin von SRF, erklärt, wie sich die Wagenknecht-Partei positioniert – und ob sie das Potenzial hat, sich fest in der deutschen Parteienlandschaft zu etablieren.
Welche Akzente setzt die Partei?
Das Gründungsmanifest der neuen Partei war bereits im Vorfeld einsehbar. Es ist sehr allgemein formuliert – und wer ist schon gegen «Vernunft»? Die Stossrichtung ist aber klar: In der Wirtschaft soll der Mittelstand gestärkt werden. Vor allem will man aber Grosskonzerne in ihrer Marktmacht begrenzen und entflechten. Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernanliegen der Partei, die Verteilung von oben nach unten, ein starker Sozialstaat. In der Aussenpolitik liegt der Akzent auf «Frieden» – gemeint ist hier Frieden mit Russland und ein Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine.
Schliesslich nimmt die Partei ganz klar die Grünen ins Visier: Wagenknecht kritisiert schon länger die linksliberale urbane Gesellschaft, die «Cancel Culture» und den Konformitätsdruck. Lebensstil und Sprache zu reglementieren, lehnt sie strikt ab. Das ist viel Symbolpolitik – mit der sich aber gut Stimmung machen lässt.
Wo positioniert sich das Bündnis im Parteienspektrum?
Es lässt sich nur schwer verorten. Das Bündnis vertritt einen Linkskonservatismus: Klassisch links, wenn es um Wirtschaftsthemen und soziale Gerechtigkeit geht. In Gesellschaftsthemen, der Asylpolitik und Kultur positioniert sich die Partei rechtsnational. Die Kritik an «grün-woken» Stadtmenschen kennt man auch von der AfD. In einigen Punkten könnte das Bündnis sogar die CDU-Stammwählerschaft ansprechen. In der Partei könnten künftig Altmarxisten und Rechtsnationale aufeinandertreffen. Das zeigt, welchen Spagat sie versucht.
Kann die Partei die Protestwähler abholen?
Viele Deutsche sind schon länger unzufrieden mit der Ampelregierung, aktuell etwa die Bauern, denen die Subventionen gekürzt werden sollen. Bislang profitiert vor allem die AfD von der Proteststimmung. Wagenknecht sagt explizit, dass sie diesen Unzufriedenen eine politische Heimat bieten will. Das ist vor dem Hintergrund der drei Wahlen in Ostdeutschland im Herbst besonders brisant. Die in Teilen rechtsextreme AfD dürfte dort grosse Erfolge verbuchen können.
Es wird interessant sein zu sehen, welchen Tonfall BSW im Herbst anschlagen wird. Bisher setzt Wagenknecht auf sehr populistische Töne, das sorgt für Aufmerksamkeit und ist ein Zeichen an die Protestwählerinnen und -wähler. Die Frage wird sein, ob die Leute nicht lieber das Original wählen, also die AfD. Andererseits sind die Parteibindungen im Osten traditionell weniger ausgeprägt als im Westen. Grundsätzlich gilt das Potenzial der neuen Partei als gross. Aber zu sagen, man könne sich vorstellen, sie zu wählen, ist das eine. Es zu tun, das andere.