Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland dürften sich hinziehen. Die Schweiz verfolgt den Machtpoker gebannt: Denn ohne Goodwill in Berlin wird es auch in Brüssel schwierig. Der Ökonom Klaus Wellershoff kennt beide Länder bestens. Er schätzt ab, ob «Jamaika», die «Ampel» oder vielleicht wie gehabt die Grosse Koalition am besten für die Eidgenossenschaft wäre.
SRF News: Welche Koalition in Berlin wäre die beste für die Schweiz?
Klaus Wellershoff: Wir brauchen eine Koalition, die ins Zentrum stellt, dass man auf Regeln basiert miteinander umgeht und nicht willkürlich versucht, sich Vorteile zu verschaffen. Insofern wäre jede Koalition, in der ein stabilisierendes Element wie die FDP drin wäre, vorteilhaft. Meines Erachtens kann man eine Grosse Koalition aus Union und SPD rechnerisch ausschliessen. Das wäre wohl für beide Parteien ein Desaster.
Recht schützt immer die Schwachen – und wenn es acht Millionen Schweizer mit 450 Millionen Europäern zu tun haben, ziehen wir regelmässig den Kürzeren.
Kann man plakativ sagen: Union und FDP pro-Schweiz, SPD und Grüne schwierig für die Schweiz?
Das drängt sich auf, wenn man in die Vergangenheit schaut. Wir alle erinnern uns an den damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der uns die Kavallerie auf den Hals hetzen wollte. Oder an den ehemaligen Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Norbert Walter-Borjans, der heute Co-Vorsitzender der SPD ist. Er kaufte vor einigen Jahren gestohlene Daten in der Schweiz, um Steuern einzutreiben.
Wir spüren auch ein Klischee-Denken, das in der politischen Linken Deutschlands stark verankert ist: Demnach besteht die Schweiz nur aus Steuerhinterziehern und Chocolatiers. Ganz falsch ist Ihre plakative Vermutung also nicht. Dazu kommt: Eine SPD-geführte Bundesregierung würde wahrscheinlich innerhalb der EU mehr auf Vertiefung setzen und darauf abzielen, die Institutionen zu stärken. Damit würde ein Land wie die Schweiz, das am Rande der EU liegt, an Bedeutung verlieren.
Eine solche Vertiefung in Europa würden auch die Grünen als Partner in einer Koalition mit der SPD wollen. Das wäre schlecht für uns ohne Rahmenabkommen.
Es wäre sehr schwierig für die Schweiz, weil wir das Recht nicht mehr auf unserer Seite haben. Das war eines der schönen Elemente des institutionellen Rahmenabkommens. Denn Recht schützt ja immer die Schwachen – und wenn es acht Millionen Schweizer mit 450 Millionen Europäern zu tun haben, ziehen wir regelmässig den Kürzeren. Ohne eine Gerichtsbarkeit, an die wir uns wenden können, damit der wir im Streitfall – wenn wir Recht haben – das Recht auch durchsetzen können.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz sind sehr tief. Die Schweiz ist unter den zehn wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Deutschland ist neben den USA der wichtigste Handelspartner der Schweiz. Beide Seiten dürften ein Interesse daran haben, dass das so bleibt und man weiterhin gut zusammenarbeiten kann.
Ja, wir sind innig verflochten. Das wird in der innenpolitischen Diskussion in der Schweiz auch immer unterschätzt. Die Deutschen haben eine enorme Grundsympathie für die Schweiz. Das gegenseitige Interesse ist nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch kultureller Natur. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir eine Basis für Gespräche finden werden – egal mit welcher Regierung.
Die Deutschen haben eine enorme Grundsympathie für die Schweiz.
Die Gefahr ist aber immer, dass man instrumentalisiert wird und auch, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr da ist. Wir haben unter Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr davon profitiert, dass sie die Schweiz immer mitgenommen hat. Wenn jetzt andere Themen wichtiger werden, werden wir womöglich vergessen.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.